Experten fordern Basiskompetenzen als Mittel gegen "Bildungsarmut"

30. Oktober 2017 - 13:40

Angesichts der Digitalisierung müsse das Bildungssystem vor allem Defizite beim sinnerfassenden Lesen, Schreiben und Rechnen beseitigen, so das Ergebnis einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). Gerade dieser "Bildungsarmut" trete man aber kaum entgegen, sagt Hannes Androsch, dessen Privatstiftung an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die Untersuchung in Auftrag gegeben hat.

Androsch ortet "Zeitalter der ignorierten Voraussehbarkeit"
Androsch ortet "Zeitalter der ignorierten Voraussehbarkeit"

Der Tatsache, dass sich Österreich gerade mitten in einem Umbruch am Arbeitsmarkt befinde, sei man sich vielerorts offenbar nicht bewusst, so Androsch vor Journalisten in Wien. Auch der vergangene Wahlkampf, in dem nach Ansicht des Initiators des Bildungsvolksbegehrens das Thema kaum berücksichtigt wurde, sei der Beweis, "dass wir in einem Zeitalter der ignorierten Voraussehbarkeit leben". Halte man sich vor Augen, dass Unternehmen bereits große Probleme hätten, Leute zu finden, die gewisse Mindestanforderungen an Bildung mitbringen, sollte seitens der Politik rasch reagiert werden. Androsch: "Wir haben hier eine riesige Arbeit vor uns."

Mehr höhere Bildungsabschlüsse

Im Rahmen der Studie mit dem Titel "Österreich 2025 - Die Rolle ausreichender Basiskompetenzen in einer digitalisierten Arbeitswelt" zeigen die Autoren vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), dass die Beschäftigungszahlen in Berufen, in denen vor allem manuelle Routinetätigkeiten zu leisten sind, seit dem Jahr 1990 am stärksten zurückgegangen sind. Gleichzeitig sank der Anteil unselbstständig Erwerbstätiger mit relativ geringem Bildungsniveau von 1990 bis 2016 von 27 auf zwölf Prozent. Der Anteil an Beschäftigten mit höheren Bildungsabschlüssen habe sich hingegen von knapp unter zehn auf knapp unter 20 Prozent erhöht, erklärte der Leiter der Gesamtstudie "Österreich 2025", Marcus Scheiblecker, in die die Untersuchung eingebettet ist.

In Zukunft seien vor allem Fähigkeiten gefragt, die Roboter und andere auf Algorithmen aufgebaute Systeme nicht mitbringen. Dazu zählen laut dem stellvertretenden Leiter des Wifo Problemlösungs-, Kommunikations- sowie soziale und digitale Kompetenzen und Kreativität - eben "Dinge, die Maschinen noch länger nicht leisten können". Angesichts der rasanten technischen Entwicklung könne man heute kaum voraussagen, welche konkreten Berufsbilder zukünftig nachgefragt werden. Nur mit ausreichenden Basiskompetenzen könnten Menschen entsprechend flexibel auf die neuen Anforderungen am Arbeitsmarkt reagieren, so Scheiblecker.

Schwächen bei Mathe und Lesen

Momentan stehe man jedoch vor einer Situation, in der laut den Erhebungen der Bildungsstandards in Mathematik (Stand: 2013) rund ein Viertel der Schüler die Mindestanforderungen nicht oder nur teilweise erreichen. Beim sinnerfassenden Lesen gelte das sogar für 44 Prozent der Buben und 33 Prozent der Mädchen (Stand: 2015), so der Wifo-Forscher. Der Blick auf die Arbeitslosenzahlen mache klar, wie ungleich höher die Wahrscheinlichkeit für Menschen ist, die diese Kompetenzen nicht erreichen, in die Arbeitslosigkeit zu rutschen.

Auch wenn Wirtschaftsprognosen momentan "eher positiv" ausfallen, "haben wir eine Arbeitslosigkeit, die nicht zu dem Konjunkturzyklus passt", konstatierte auch Wifo-Chef Christoph Badelt. Die Digitalisierung "wird das Problem mangelnder Bildung noch verstärken", so Badelt, der erneut betonte, wie stark geringere Bildung in Österreich mit dem sozialen Status der Eltern verbunden ist. Das Fazit aus diesen "erschütternd" lange bekannten Fakten könne nur heißen: "In Bildung investieren."

"Schulen sind für Schüler da"

Hier brauche es sowohl Strukturreformen als auch mehr Geld. Die Argumente dazu lägen ebenfalls schon länger auf dem Tisch. Es gehe um das Heben der Effizienz im Schulsystem insgesamt, um den Ausbau von ganztätigen Angeboten, den Ausbau der frühen Förderung oder die verbesserte Vermittlung von Deutschkenntnissen, waren sich Badelt und Androsch einig. Die kommende Regierung müsse in dem Bereich jedenfalls mit den "Blockaden aus scheinideologischen Gründen aufhören", sagte Androsch: "Schulen sind für Schüler da und nicht für Lehrergewerkschafter und Landespolitiker."

Bildung "zum Regierungsthema machen", möchte auch Bundesschulsprecher Harald Zierfuß. Die größten Veränderungen brauche es seiner Ansicht nach bei der Aus- und Fortbildung der Lehrer: "Die Lehrpersonen brauchen neben der schon existierenden fachlichen Expertise eine bessere Ausbildung in Unterrichtsmethodik, angepasst an das 21. Jahrhundert", so Zierfuß am Montag in einer Aussendung. Außerdem wünscht sich der Schülervertreter u.a. "ein eigenständiges Fach 'Politische Bildung'".

(APA/red, Foto: APA/APA (Hochmuth))

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