Gravitationswellen: "Jetzt kommt das Voodoo-Zeug" für LIGO

18. Oktober 2017 - 9:40

Nichts deutet darauf hin, dass hier die derzeit wohl spannendste Physik gemacht wird. Irgendwo im sumpfdurchsetzten Hinterland von Louisiana (USA), rund 1,5 Autostunden nordwestlich von New Orleans, flirrt die heiße Luft über ein paar Gebäuden im schlichten Industriedesign. Einzig ein Auto am schütter besetzten Parkplatz deutet an, worum es hier geht: "Ripple" heißt es am Wunschkennzeichen.

Der Kontrollraum des Gravitationswellen-Observatoriums LIGO
Der Kontrollraum des Gravitationswellen-Observatoriums LIGO

Um den Hinweis zu verstehen, muss man in der Anlage den einzigen kleinen Hügel erklimmen. Er wurde über einem Betontunnel errichtet, dessen Ende in der vor Hitze wabernden Luft nicht auszunehmen ist. Die Röhre entspringt dem Hauptgebäude und erstreckt sich über vier Kilometer in Richtung Südwesten. 90 Grad um die Ecke ragt ein ebenso langer Tunnel in die von Kiefern-Plantagen geprägte Landschaft.

"Man hat damals einen Platz gesucht der isoliert ist, aber nicht so isoliert, dass niemand hier wohnen möchte", sagte Keith Thorne bei einem Besuch von APA und "Standard" am Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) in Livingston. Die Einsamkeit soll gewährleisten, dass die hier durchgeführten Messungen möglichst störungsfrei ablaufen können.

Gemessen wird im Inneren der Tunnel, in einer Röhre mit Hochvakuum. Dort laufen Laserstrahlen Dutzende Male zwischen Spiegel an den Tunnelenden hin und her. Mit einem solchen Interferometer lässt sich die Entfernung zwischen den Spiegeln äußerst präzise messen, auf ein Tausendstel des Durchmessers eines Wasserstoffatomkerns.

Warum man die Distanz zwischen den Spiegeln so genau wissen will? Die Antwort auf diese Frage liegt Millionen Lichtjahre entfernt: Verschmelzen dort Schwarze Löcher oder kollidieren Neutronensterne, entstehen sogenannte Gravitationswellen. Diese von Albert Einstein vorhergesagten Wellen stauchen und strecken den Raum, ähnlich wie ein ins Wasser geworfener Stein die Oberfläche kräuselt.

Kräuselungen der Raumzeit

Und genau solche Kräuselungen (engl.: "ripples") der Raumzeit will man am LIGO in Livingston gemeinsam mit dem baugleichen Schwestern-Observatorium in Hanford (US-Bundesstaat Washington) nachweisen. Wenn eine solche Welle auf die Erde trifft, stauchen und strecken sich auch die LIGO-Tunnel, und die Distanz zwischen den Spiegeln schwankt. Erstmals konnten die Forscher das am 14. September 2015 beobachten - ein Durchbruch, der heuer mit dem Physik-Nobelpreis belohnt wurde.

Er sei einer der ersten gewesen, der das Signal damals gesehen und erkannt habe, dass es sich tatsächlich um eine Gravitationswelle handelt, sagte Thorne. "Ich habe damals mit jenen Kollegen zusammengearbeitet, die die Fake-Signale erzeugen, die immer wieder eingespeist werden, um uns auf dem richtigen Weg zu halten. Und ich wusste, dass ihre Hardware noch nicht fertig war und es noch keine Fake-Signale geben konnte", so Thorne.

Es war also tatsächlich eine Gravitationswelle, aber Thorne dachte auch daran, ob sich nicht jemand in das Computersystem gehackt hat. "Wir waren die ersten, die solche Signale sahen, die kein anderes Instrument registrieren konnte, und erzählten den Leuten, dass die von zwei Schwarzen Löchern stammen - da sagt jeder: 'Ja, sicher. Und wie beweist du das?'" Man müsse also nachweisen, dass es nichts anderes gewesen sein kann und niemand einen Streich gespielt habe.

Thorne kam ursprünglich aus der Teilchenphysik und wechselte 2003 vom Fermi-Lab zu LIGO. Seit 2008 ist er einer von rund 50 Beschäftigten am Standort Livingston und verantwortlich für die gesamte Elektronik und Computer der Anlage.

Riesigen Datenmengen pro Tag gesammelt

Rund zwei Terabyte an Daten würden pro Tag gesammelt, aber nur ein Kanal betreffe die Gravitationswellen. "Alles andere sagt uns, dass es sich nicht um eine Gravitationswelle handelt", sagt Thorne.

So finden sich im Kontrollraum der Anlage etwa Bildschirme, die die seismische Aktivität der vergangenen Stunden anzeigen oder die Erdbewegungen, die durch die Meereswellen im Golf von Mexiko verursacht werden. Vergleichsweise riesig sind die Ausschläge auf einem dritten Schirm, der die menschliche Aktivität abbildet: Auto- und Zugsverkehr, Bauarbeiten, etc. - so isoliert kann die Lage offensichtlich nicht sein, dass nicht doch solche Störungen spürbar sind.

"Wir führen einen ständigen Kampf gegen störende Einflüsse", sagte Thorne. Ein ausgefeiltes Aufhängungssystem soll sicherstellen, dass sich die Spiegel nicht bewegen. Derzeit wird überprüft, ob nicht auch im Tunnel Vibrationen gedämmt werden müssen. Denn trotz des Hochvakuums gibt es noch immer ein wenig Staub in der Röhre, der bei Vibrationen herumspringt und das Laserlicht stört.

Kontamination ist ein allgegenwärtiges Thema: Eine Schautafel an der Wand eines Ganges dokumentiert, was trotz höchster Aufmerksamkeit alles auf den Spiegeln und in der Anlage gefunden wurde: Haare, Wimpern, Hautpartikel, Schweiß, Jeansfasern, etc.

Kurz nach dem jüngsten (insgesamt fünften) Nachweis von Gravitationswellen, die von kollidierenden Neutronensternen stammen und am 17. August registriert wurden, wurde LIGO wieder abgeschaltet. In den nächsten Monaten wird die Anlage weiter aufgerüstet.

Limits bei der Genauigkeit

Als nächsten große Schritt zur Steigerung der Messgenauigkeit nennt Thorne "squeezed light, das ist Quantenverschränkung, das ist dieses Voodoo-Zeug". Das Problem sei, dass man bei Messungen irgendwann an ein Limit in der Genauigkeit stößt, definiert durch die Heisenbergsche Unschärfe. Mit dem "gequetschten Licht" will man durch spezielle Manipulationen diese Unschärfe in der Ausbreitungsrichtung des Laserstrahls minimieren und so noch genauer messen.

Auch das thermische Rauschen der Spiegel ist ein ständiges Problem. In Japan, wo derzeit der Gravitationswellendetektor KAGRA gebaut und laut Thorne in rund zwei Jahren in Betrieb gehen wird, setzt man daher auf gekühlte Spiegel. Aber selbst diese zittern noch leicht aufgrund ihrer Temperatur.

Eine mögliche Lösung dieses Problems könnte sich in Österreich finden: speziell beschichtete Spiegel, die das vom Physiker Markus Aspelmeyer vom Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ) gegründete Unternehmen Crystalline Mirror Solutions (CMS) herstellt.

Bis jetzt können diese Spiegel allerdings nur im Miniaturformat produziert werden. Die Herausforderung bestehe darin, die Technologie hochzuskalieren, sagte Aspelmeyer zur APA. Denn Gravitationswellen-Observatorien brauchen Spiegel mit einem Durchmesser von 20 bis 30 Zentimetern. Der österreichische Physiker ist deshalb im Gespräch mit LIGO und KAGRA.

Mehr Mittel nötig

Weitere Verbesserungen wollen allerdings finanziert werden. Das Budget für LIGO liege derzeit bei 40 bis 45 Mio. Euro pro Jahr, finanziert durch die National Science Foundation (NSF). Nachdem das Observatorium jahrelang nur auf das Versprechen hin, Gravitationswellen nachweisen zu können, gefördert wurde, sollte es nun eigentlich einfacher sein, weitere Mittel aufzutreiben. Schließlich wurde das Versprechen eingelöst und der Nachweis mit dem Nobelpreis gekrönt.

Aber Thorne klingt hier nicht so zuversichtlich. So denke man etwa darüber nach, statt einer allgemeinen Förderung nur spezifische Vorhaben zu finanzieren, etwa die Erneuerung der 20 Jahre alten Vakuum-Anlage. Geplante Budgetkürzungen durch die Trump-Administration dürften die Sache nicht einfacher machen.

Gleich zu Beginn des Besuchs hatte Thorne lachend versichert: "Nein, ich bin nicht verwandt mit Kip", aber es komme immer wieder zu Verwechslungen mit seinem Namensvetter Kip Thorne - einer jener drei Physiker, die heuer für den Nachweis der Gravitationswellen den Nobelpreis erhielten.

Apropos Nobelpreis: Die Frage, wie denn die Nobelpreis-Party am LIGO gewesen sei, stößt auf Kopfschütteln: "Wir hatten nicht wirklich eine. Hier ist es nicht so wie in Europa, wo man Wein und Bier in der Kantine bekommt", sagte Thorne. Doch ein Kollege bekennt schließlich: "Als ich ging, hatte ich ein Bier."

(APA/red, Foto: APA/APA (Müller))

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