Wenige Medizinstudenten wollen Hausarzt werden

10. August 2017 - 12:55

In Österreich besteht derzeit pro Jahr ein Ersatzbedarf von rund 400 Hausärzten. Nur zwei Prozent der MedUni-Studenten und eventuell 16 Prozent der Turnusärzte in Spitalsausbildung sind sich aber sicher, später diesen Beruf ergreifen zu wollen. Das hat eine Fragebogen-Studie des Instituts für Allgemeinmedizin der MedUni Graz ergeben, die kürzlich in Wien präsentiert worden ist.

Ärztekammer ortet "Alarmsignal"
Ärztekammer ortet "Alarmsignal"

Die Wissenschafter unter Stephanie Poggenburg vom Grazer Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (IAMEV) verschickten zwischen Oktober 2016 und März 2017 insgesamt 34.552 Fragebögen an die österreichischen Medizinstudenten und Turnusärzte in Spitalsausbildung. Der Rücklauf betrug insgesamt 13,7 Prozent mit 4.724 Antworten. Davon entfielen rund 700 ausgefüllte Fragebögen auf Turnusärzte. Die Studie war zunächst von dem Institut in kleinerem Rahmen konzipiert worden, mithilfe der Österreichischen Ärztekammer wurde sie auf ganz Österreich ausgeweitet.

Poggenburg zitierte bei einer Pressekonferenz der Österreichischen Ärztekammer in Wien die Hauptergebnisse: "Nur zwei Prozent der Studenten sind sich sicher, dass sie den Hausarztberuf ausüben wollen, ebenso 16 Prozent der Turnusärzte." Bei den Turnusärzten sei die Prozentangabe aber wegen möglicher methodischer Schwierigkeiten mit Vorsicht zu genießen.

Die Wissenschafterin zog dazu mit Daten aus einer ähnlichen Studie mit 17.000 befragten MedUni-Studenten in Deutschland auch Vergleiche: Den zwei Prozent zum Hausarztberuf Entschlossenen in Österreich stehen dort immerhin fünf Prozent gegenüber. Insgesamt halten in Deutschland elf Prozent das Gesundheitssystem insgesamt attraktiv für den Hausarztberuf, in Österreich hingegen nur fünf Prozent. Dass die politischen Entscheidungsträger dem Hausarztberuf entsprechende Aufmerksamkeit entgegen brächten, sagten 16 Prozent der Medizinstudenten in Deutschland, die sich beteiligt hatten. In Österreich waren es nur neun Prozent.

Allgemeinmedizin vor problematischer Situation

"Wir haben bereits oft darauf hingewiesen, dass die Allgemeinmedizin in Österreich vor einer problematischen Situation steht. Sie braucht Hilfe und Unterstützung. Sonst könnte diese erste Stufe der medizinischen Versorgung einknicken", sagte dazu der Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer, Johannes Steinhart. Man müsse das in Politik und Sozialversicherung ernst nehmen. Die erhobenen Daten seien ein "Alarmsignal, das man nicht so schnell ändern" könne.

Die sei auch unter dem Aspekt der demografischen Entwicklung in der Ärzteschaft zu sehen. "In den nächsten zehn Jahren werden 50 bis 60 Prozent der Allgemeinmediziner in Pension gehen", sagte Steinhart. Bei in Österreich insgesamt derzeit rund 4.000 Kassen-Allgemeinmedizinern sei die Zahl der Wahlärzte bereits auf rund 2.700 gestiegen.

Die Zahl der Paragraf-2-Kassen-Hausärzte (Gebietskrankenkassen) ist laut den Daten der Österreichischen Ärztekammer zwischen 1999 und 2016 von 3.961 auf 3.743 zurückgegangen, die Zahl der Allgemeinmediziner nur mit Verträgen mit den sogenannten "kleinen Kassen" von 345 auf 230 (Wahlärzte: Erhöhung von 1.403 im Jahr 1999 auf 2.704 im Jahr 2016). "Diesen Wahlärzten müssen wir dankbar sein. Sie federn das System eigentlich ab", betonte Steinhart. Aktuell sind in Österreich 64 Hausarztkassenstellen unbesetzt.

Positives und Mankos

An sich haben die österreichischen MedUni-Studenten und Turnusärzte durchaus positive Ansichten bezüglich des Berufsbildes des Hausarztes. Doch es gibt auch schwerwiegende Mankos.

An Positiva führte Autorin Poggenburg an: 72 Prozent der Studierenden und 74 Prozent der Turnusärzte meinten, dass die persönliche und langjährige Arzt-Patientenbeziehung für den Hausarztberuf spreche. Die Bandbreite der Behandlung "banaler" gesundheitlicher Probleme wie auch das Eingreifen bei Notfällen werteten beispielsweise 67 Prozent der Medizinstudenten und 69 Prozent der Turnusärzte als positiv. Die berufliche Selbstständigkeit sahen 70 Prozent der MedUni-Studenten und 63 Prozent der Turnusärzte als Vorteil an.

Das Berufsleben als Kassen-Allgemeinmediziner hat laut der Befragung aber auch Nachteile: 74 Prozent der Studenten und 85 Prozent der Turnusärzte erwarteten sich zu wenig Zeit für den einzelnen Patienten. 60 Prozent der MedUni-Studenten sprachen von zu vielen Vorgaben durch die Krankenkassen, dieser Anteil betrug bei den Turnusärzten 82 Prozent. 50 Prozent der Studenten schätzten das Einkommen des Hausarztes im Vergleich zu Fachärzten für zu gering ein, ebenso 63 Prozent der Turnusärzte. Zuviel Administration erwarteten sich 45 Prozent der MedUni-Studenten und 68 Prozent der Turnusärzte.

Mehrheit an niedergelassener Praxis interessiert

"68 Prozent der Studierenden und 72 Prozent der Turnusärzte wollen in der niedergelassenen Praxis arbeiten", sagte Poggenburg. In einer Gemeinschaftspraxis wollten 71 Prozent der Studenten und 78 Prozent der Turnusärzte später tätig sein (Einzelpraxis: je 49 Prozent der Studenten bzw. Turnusärzte). Für das Spital würden sich 65 Prozent der Studierenden und 53 Prozent der Turnusärzte entscheiden.

Karlheinz Kornhäusl, Obmann der Bundessektion der Turnusärzte in der Österreichischen Ärztekammer, sagte zu den Ergebnissen: "Diese Studie ist ein Plädoyer für die Vielfalt. Die Zukunft der medizinischen Versorgung in Österreich liegt in der Vielfalt. Wir werden starke Einzelpraxen, Netzwerke, Gruppenpraxen benötigen - und natürlich brauchen wir auch Spitäler." Die Ergebnisse der Befragung unterstrichen nur die absolute Notwendigkeit, bis zur österreichweiten Einführung der Lehrpraxen im kommenden Jahr, endlich deren Finanzierung sicherzustellen. Gerade in den Lehrpraxen würden die angehenden Ärzte mit dem Gedanken der Arbeit als Hausarzt "infiziert", hieß es bei der Pressekonferenz. "Die Lehrpraxis war die schönste Zeit meiner Ausbildung", betonte der Turnusärztevertreter.

(APA/red, Foto: APA/APA (Fohringer))

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