Nicht nur für den Kaiser - Jüdische Teilnehmer am Ersten Weltkrieg

10. Juli 2017 - 11:10

Ums Leben, um Gesundheit und wirtschaftliche Existenz gebracht wurden im Ersten Weltkrieg Millionen Menschen aller Bevölkerungsgruppen der beteiligten Staaten. Dem Erleben der Kriegsteilnehmer jüdischer und nichtjüdischer Abstammung widmete sich jetzt die 27. Internationale Sommerakademie des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs: Es ging nicht nur um "Kaiser und Vaterland".

Jüdische Soldaten kämpften in allen Kampfgebieten
Jüdische Soldaten kämpften in allen Kampfgebieten

Jüdische Soldaten kämpften zwischen 1914 und 1918 in dem von Österreich-Ungarn entfesselten Krieg in allen Kampfgebieten und auf jeder Seite der Fronten. Nachdem Österreich als erster europäischer Staat bereits ab 1788 unter Joseph II. Juden zum Militär eingezogen und damit als "wehrwürdig" erachtet hatte, betrug der Anteil jüdischer Soldaten am Militär der Monarchie um 1900 rund 3,9 Prozent bei einem jüdischen Bevölkerungsanteil von insgesamt rund vier Prozent, stellte der Wiener Zeithistoriker Erwin Schmidl bei der Tagung (5. bis 7. Juli im Museum für Volkskunde in Wien) fest.

Rund 300.000 jüdische Soldaten in k.u.k. Armee

"Für den Ersten Weltkrieg nimmt man an, dass rund 300.000 jüdische Soldaten in der k.u.k. Armee gedient haben - es werden Zahlen zwischen 275.000 und 400.000 genannt. Rund 30.000 jüdische Soldaten kamen in diesem Krieg ums Leben", schrieb der Experte im Tagungsband mit dem Titel "Für Kaiser und Vaterland. Jüdische und nichtjüdische Erfahrungen im Ersten Weltkrieg".

Der erste industrialisierte und mechanisierte Krieg benötigte Millionen Menschen, um das Massenschlachten erst möglich zu machen. "In der ersten Phase des Krieges schwappte der weitverbreitete Hurra-Patriotismus auch auf die jüdischen Gemeinden und sogar russisch-jüdische Exilanten über. (...) Es kam zu einem 'nationalen Schulterschluss'. (...) Und schließlich wandte sich selbst (Zar; Anm.) Nikolaus II. im August 1914 an seine 'lieben Juden' und versprach ihnen Gleichberechtigung und Offiziersränge", schilderte der Historiker und Philosoph Benjamin Grilj in seinem Beitrag. Dabei hatte es gerade im zaristischen Russland mit der Ermordung von Zar Alexander II. im Jahr 1871 widerwärtigste Pogrome, speziell in der heutigen Ukraine, und die Vertreibung der Juden aus großen Bereichen des öffentlichen Lebens (und aus den größeren Städten) gegeben.

"Die Statistiken sind eindeutig: Von den eineinhalb Millionen Juden, die in Europa im Ersten Weltkrieg dienten, kämpften 500.000 bis 600.000 in der zaristischen Armee. Die Anzahl jüdischer Soldaten war damit nicht nur weit höher als ihr Anteil an der russischen Gesamtbevölkerung, sondern auch höher als in allen anderen Heeren Europas", stellte Grilj fest.

Diese Situation war demnach überall gleich: Die Herrscher und ihre Kriegstreiber setzten alles daran, die Ressource Mensch zu mobilisieren. Der Hurra-Patriotismus war dazu das beste Mittel. Der Wiener Maler Maximilian Liebenwein schrieb aus dem Kriegsgebiet in Galizien, wo er ins Umfeld heftigster Kämpfe rund um Przemysl und Lemberg kam: "... Völkerwanderung, Völkerdämmerung, Germanenzug, Weltgeschichte, größer als sie je geschah, und ich darf es erleben" - und zeichnete auch Straßenszenen mit orthodoxen Juden. Während die einen kämpften, litt die Zivilbevölkerung - über die jüdische schrieb Liebenwein: "Die Juden sind hier sehr verschüchtert durch die vielen schlechten Erfahrungen der letzten Zeit; und den Kanonendonner in der nächsten Nähe, die Brandröte am Himmel vertragen sie gar nicht." Menschen jüdischer Abstammung - als Kombattanten oder als Teil der Zivilbevölkerung - sind immer mehr oder weniger "Andere".

Sündenbock bei Niederlage gesucht - und gefunden

Wie fragil auch zwischen 1914 und 1918 die Situation der Menschen jüdischer Abstammung in den am Weltkrieg teilnehmenden Staaten war, zeigte sich auf allen Ebenen. Prekär wurde sie oft, wenn die jeweilige Armee Niederlagen erlitt, zeigten die Vorträge bei der Internationalen Sommerakademie des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs im Wiener Museum für Volkskunde.

Nach den Niederlagen der russischen Armeen in Ostpreußen wurde "ein Schuldiger gesucht und in den Juden gefunden. Die Zeitungen verbreiteten Gerüchte. So wurde 'den Juden' vorgeworfen, dass sie in Särgen statt Leichen Gold aus den Städten schaffen und den Deutschen übergeben würden", stellte Historiker Benjamin Grilj fest. Ein Gerücht besagte, dass jüdische Kriegsgefangene aufgrund der "gemeinsamen Sprache" von den Deutschen eingesetzt würden, um Russen zu misshandeln. Russische Offiziere befahlen: "Die Juden sollen gegen den Feind getrieben werden, kein Einziger soll im Armee-Rayon zurückgelassen werden (...)." Damit wurde auch nicht mehr zwischen Zivilbevölkerung und Militär unterschieden.

Eine besondere Rolle spielte die Beteiligung am Ersten Weltkrieg offenbar für die Juden im Deutschen Kaiserreich. "Mit der Mobilmachung riefen auch die jüdischen Gemeinden, Verbände und Organisationen ihre Mitglieder zur Teilnahme am Krieg auf. Bei allem Patriotismus - als Beleg für eine einhellige Kriegsbegeisterung dürften diese offiziellen Verlautbarungen indes nicht verstanden werden. Sie zeugen vielmehr ebenso vom Konformitäts- und Loyalitätsdruck, dem alle Bevölkerungskreise, insbesondere aber die Juden, ausgesetzt waren", beschrieb Sabine Hank, Archivarin am Centrum Judaicum in Berlin, die Situation.

Beleg für Engagement und Loyalität

Gleichzeitig wurde die Beteiligung am Ersten Weltkrieg auch als Chance gesehen, das eigene Engagement für das Deutsche Kaiserreich unbestreitbar zu belegen. Der "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" forderte im August 1914 das Anlegen von Aufzeichnungen über jeden jüdischen Soldaten ein. Die Begründung: "Wir haben das dringlichste Interesse dran, dass Umfang und Art der Beteiligung der deutschen Juden an dem sich entwickelnden Feldzuge zuverlässig festgestellt wird."

Im Endeffekt ging es wohl darum, besondere Loyalität gegenüber dem eigenen Staat zu beweisen. Der Südtiroler Germanist Andreas Micheli hat dazu die Schriften des deutsch-jüdischen Schriftstellers, Journalisten und Arztes Richard Huldschiner (1872 bis 1931; aufgewachsen in Bozen, gestorben in Innsbruck) durchleuchtet. Huldschiner war als Standschütze Kriegsteilnehmer an der Front mit Italien, zum Beispiel oberhalb des Gardasees.

In einer Kriegsgeschichte thematisierte er seine jüdischen Wurzeln und zionistischen Ideale, wie Micheli betonte: "Noch leuchtet die Menorah nicht zum Makkabäerkampf. Aber auch dieser Krieg schon ist vielleicht Vorstufe der Befreiung. Und wir kämpfen ihn aus mit dem Bewusstsein, dass wir mehr tun müssen als andere, weil wir weniger gelten, obschon wir wussten, dass wir nicht geringer sind als irgend einer." Huldschiner arbeitete nach dem Ende des Ersten Weltkrieges unter anderem auch als Korrespondent der Vossischen Zeitung und berichtete für sie vom Prozess gegen Adolf Hitler nach dessen Putschversuch in München vom 9. November 1923.

Eigenes Kriegerdenkmal am Zentralfriedhof

Kein Wunder, dass nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch der alten Weltordnung alle Beteiligten doch noch irgendeinen Sinn im Sinnlosen des zurückliegenden mörderischen Schlachtens zu finden trachteten. So gab es schließlich Kriegserinnerungen und (Helden-)Denkmäler auch für die gefallenen Soldaten jüdischer Herkunft. Das größte diesbezügliche Kriegerdenkmal in Österreich entstand am Wiener Zentralfriedhof. Die Jury unter Clemens Holzmeister wählte dafür einen Entwurf des Architekten Leopold Ponzen mit dem Titel "Gezeichneter Davidstern im Kreis zwischen zwei waagrechten Linien" aus.

Das Denkmal wurde 1929 eingeweiht. Bei der Gestaltung in einer vorgegebenen Inschrift wurde erstmals bei einem solchen Projekt ausdrücklich Wert auf einen Ausblick auf eine - hoffentlich - friedlichere Zukunft gelegt. Dabei wurde der Prophet Jesaja zitiert: "Nicht mehr hebt Volk gen Volk das Schwert und nicht lernen sie für den Krieg." Dies sollte sich bald darauf als Illusion herausstellen - genauso wie die Kriegsteilnahme Menschen jüdischer Abstammung nichts am dumpfen und mörderischen Antisemitismus geändert hatte.

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa))

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