Uni Wien-Zeitgeschichte erforschte sich zum 50-Jahr-Jubiläum selbst

9. Juni 2017 - 10:30

Zum 50-jährigen Bestehen hat sich das Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien selbst erforscht. Das Ergebnis wurde kürzlich in Form des von Bertrand Perz und Ina Markova herausgegebenen Buchs "50 Jahre Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien 1966-2016" präsentiert. Es gibt Einblick in Entstehung und Geschichte einer Einrichtung an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft.

50 Jahre Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien 1966-2016
50 Jahre Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien 1966-2016

Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte mit 3. Juni 1966 durch das damalige Unterrichtsministerium erfolgte in einer Zeit, als Zeitgeschichtsforschung in Österreich weder an den Unis noch außerhalb präsent gewesen sei. "Ebenso wenig erfolgte eine Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Themen im Schulunterricht, in der Erwachsenenbildung oder einer breiteren Öffentlichkeit", so Wolfgang Neugebauer, ehemaliger Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW) in der knapp 500-seitigen Publikation, in der verschiedene Autoren die Vor- und Frühgeschichte des Instituts sowie dessen Forschung beleuchten und relevante Personen porträtiert werden.

"In anderen Ländern war die contemporary history ja schon da. Wir waren von dieser Seite her betrachtet Spätlinge. Und ein gewisser internationaler Druck war da, denn man sagte, wenn man keine Zeitgeschichte hat, ist man ziemlich unmodern ... Es wurde in Österreich ein großes Tabu aufgebaut, es war schon aufgrund der jüngsten Vergangenheit aus unterschiedlichen Motiven eine Neigung in diese Richtung da: 'Wir schauen nach vorn, wir bauen das Land auf und wir reden nicht über die Vergangenheit.'", wird Gerhard Jagschitz, einer der ersten Assistent am Institut, zitiert.

Vorbild Zeitgeschichte München

Als Vorbild und gleich als Kooperationspartner diente das Institut für Zeitgeschichte in München, bereits 1949 von den US-Besatzern mit dem Ziel ins Leben gerufen, über die Zeit der NS-Herrschaft aufzuklären, so die ehemalige Vorständin des Instituts, Sybille Steinbacher, in dem Buch. Maßgeblich beteiligt an der Gründung des Instituts in Österreich war Ludwig Jedlicka, dessen nationalsozialistische Vergangenheit ihn nicht davon abhielt, sich für die Zeitgeschichteforschung einzusetzen. Jedlicka unterhielt gute Verbindungen zum Institut in München und versuchte eine ähnliche Form der Forschung in Österreich zu etablieren. Obwohl Jedlicka bereits 1956 die "Arbeitsgemeinschaft für Zeitgeschichte" gründete, dauerte es noch ein Jahrzehnt, bis das Thema universitären Boden erreichte.

Als "Geburtsstunde der österreichischen Zeitgeschichtsforschung" bezeichnete Jedlicka die 1960 in Reichenau an der Rax stattfindenden Tagung zum Stand der zeithistorischen Forschung und Vermittlung zeitgeschichtlicher Themen im Schulunterricht. Der anwesende Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (ÖVP) kündigte damals die Gründung einer entsprechenden Einrichtung an, im selben Jahr wurde noch die Gesellschaft für Zeitgeschichte ins Leben gerufen. Ein Jahr später folgte die Gründung eines außeruniversitären Instituts für Zeitgeschichte, 1966 wurde schließlich das Institut an der Uni eingerichtet.

Jedlicka wurde Institutsvorstand, obwohl dessen "Zeitgeschichtsschreibung methodische und inhaltliche Defizite aufwies, darunter die Austrozentrierung, die Fokussierung auf die Erste Republik und die Vernachlässigung der Zeit nach 1945 in Österreich und anderswo", wie Steinbacher anmerkt. Neben Jedlicka hat auch seine Nachfolgerin Erika Weinzierl ab 1979 das Institut maßgeblich geprägt, schreibt der derzeitige Institutsvorstand Oliver Rathkolb: "Während Jedlicka sich geschickt in der Koalitionsgeschichtsschreibung behaupten konnte und Tabubrüche gegen parteipolitische Eliten von ÖVP, SPÖ und FPÖ vermied, setzte seine Nachfolgerin, Erika Weinzierl, die bereits zuvor an der Universität Salzburg einen deutlichen Schwerpunkt auf Antisemitismusforschung gesetzt hatte, eher auf heikle Themen zu den Ursachen und Nachwirkungen des Nationalsozialismus."

Wie heikel und politisch sensibel diese Themen waren, zeigte sich spätestens in der Debatte um die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim bei dessen Kandidatur zum Bundespräsidenten 1986. Rathkolb erinnert auch an die "heftigen Kontroversen Weinzierls mit der FPÖ unter Jörg Haider".

Über 1.200 Absolventen

Seit der Gründung hat sich im Institut einiges verändert. Statt anfänglich eines Professors, eines Assistenten und einer Sekretärin, untergebracht in angemieteten Wohnungen in Wien-Alsergrund, sind mittlerweile bis zu sieben Professoren und mehrere Dutzend Personen für das Institut tätig. Auf mehr als 1.200 Absolventen - Dissertanten, Diplomanden und Master - blickt das Institut zurück.

Dort hat man in den vergangenen Jahren auch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchs etwa durch Doktoratsprogramme intensiviert. Kritisch sieht Rathkolb allerdings die Arbeitsmöglichkeit für Absolventen, die Anzahl an Fixanstellungen und Laufbahnstellen sei gering, die Gefahr groß, "ins wissenschaftliche Prekariat abzurutschen".

Für Rathkolb hat die Zeitgeschichte "ihren 'Entdeckerwert' der 1960er- und 1970er-Jahre verloren". Zudem sei in den vergangenen Jahren "österreichweit bei Berufungen auf Zeitgeschichtslehrstühle die spezifisch österreichische Zeit- und Gegenwartszeitgeschichte meist vernachlässigt" worden. Für ihn sollte deshalb das Jubiläum "Anlass sein, die Bedeutung der österreichischen Zeitgeschichte ... hervorzuheben und eine bessere institutionelle und personelle Ausgestaltung anzuregen."

Service: Perz, Bertrand & Markova, Ina (Hrsg.): "50 Jahre Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien 1966-2016", New Academic Press, 496 S., 34,90 Euro

(APA/red, Foto: APA/new academic press)

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