Patentstreit um lukrative Genschere - Uni Wien beteiligt

2. März 2017 - 10:05

Anfangs arbeiteten sie zusammen, als aber ihre hochpräzise Genschere CRISPR/Cas9 die Labors der Biologen und Mediziner im Flug eroberte, stritten ihre Entwickler plötzlich um die Patentrechte. Auch die Universität Wien ist beteiligt, weil eine Hauptfigur, Emmanuelle Charpentier, ihre Forschung dazu in Wien begann. Die US-Patentbehörde gewährte jedoch zunächst ihren Kontrahenten Erfinderschutz.

Die Gen-Schere CRISPR/Cas9
Die Gen-Schere CRISPR/Cas9

Das Broad Institute in Cambridge (USA) bekam vor kurzem vom US Patent and Trademark Office (USPTO) die Rechte auf das geistige Eigentum zugesprochen, dass CRISPR/Cas9 bei Zellen von höheren Organismen (Eukaryotische Zellen) wie Menschen, Mäusen und Nutzpflanzen, verwendet werden kann. Sein Forscher Feng Zhang hatte nämlich gezeigt, dass die Genschere, die ursprünglich aus Bakterien stammt, auch dort funktioniert.

Diese Entscheidung irritierte die Gegenpartei rund um Jennifer Doudna und Charpentier. Die beiden Biologinnen haben die Genschere als Erste bei den Bakterien entdeckt und eingesetzt. Bereits ein Jahr vor der Konkurrenz (nämlich 2012) stellten sie einen Antrag auf Patentschutz für CRISPR/Cas9 bei allen Organismen, eine Entscheidung steht hier aber noch aus. Federführend auf dieser Seite ist die University of California Berkeley, an der Doudna forscht. Aber auch die Universität Wien werde von den von Berkeley aufgestellten Anwälten vertreten, erklärte eine Sprecherin der Uni Wien der APA.

"Heureka-Moment" in Wien gehabt

Es sei nämlich ein relevanter Teil der Arbeit in jener Zeit entstanden, als Charpentier von 2002 bis 2009 an den Max F. Perutz Laboratories der Uni Wien forschte. Krzysztof Chylinski war dort als Doktorand im Labor von Charpentier entscheidend an den Experimenten zum CRISPR/Cas9-System beteiligt. Sie habe in Wien längere Zeit daran geforscht, sagte er im Gespräch mit der APA: "Als ich 2008 zu ihrem Team dazustieß, war schon einiges getan." Später wechselte Charpentier an die Universität Umea in Schweden, heute leitet die in Frankreich geborene Forscherin eine Abteilung des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin. Charpentier selbst gab in einem Ö1-Interview vor kurzem zu Protokoll, sie habe einen "Heureka-Moment" in Wien gehabt, wie die Genschere funktioniert.

Experten diskutieren nun, inwiefern die Entscheidung der US-Patentbehörde gerechtfertigt ist, welche Auswirkungen sie hat und wie die Kontrahenten reagieren könnten. Das Patent für das Broad Institut decke wohl die lukrativsten Anwendungen der Genschere ab, nämlich medizinische Belange. Es sei auch nachvollziehbar, wie das Patentamt entschieden hätte, denn die Anwendung bei höheren Zellen stelle als Neuerung einen entscheidenden Schritt dar, erklärten sie in der Fachzeitschrift "Nature".

"Sie werden ein Patent für grüne Tennisbälle haben, wir werden eines für alle Tennisbälle bekommen", meinte Doudna. Abgesehen davon, dass das Broad Institute wohl eher die weitaus am häufigsten verwendeten, gelben Tennisbälle patentiert bekam, bedeutet dies auch, dass Nutzer vielleicht Abgaben an beide Institutionen liefern müssen. Für die generelle Verwendung an das Berkeley-Konsortium und bei menschlichen Zellen, Mäusen und Co. zusätzlich an das Broad Institute.

Noch nichts fix entschieden

Noch ist aber nichts fix entschieden. Die Berkeley-Anwälte haben zwei Monate Zeit, die Entscheidung anzufechten. Es laufen auch Anträge beider Parteien in Europa - mit ungewissem Ausgang. Zudem gibt es laut einer Schweizer Consultingfirma weitere 763 Patentfamilien, also Gruppen ähnlicher Patente, wo Ansprüche auf Teilaspekte der Technologie gestellt werden.

Während das Broad Institute und das Berkeley-Konsortium um die CRISPR/Cas9-Rechte wetteifern, läuft die Entwicklung außerdem rasch weiter. Die Patente beider sind auf CRISPR und Cas9 direkt ausgelegt, doch Forscher haben schon Alternativen zu Cas9 gefunden, die ebenfalls die Ziel-DNA präzise schneiden, wie etwa "Cpf1". Es sei sogar einfacher zu nutzen und in manchen Fällen genauer als Cas9, so Experten in "Nature". Mittlerweile gibt es auch zu Cpf1 schon 28 Patentanträge, teilweise vom Broad Institute. Berkeley-Forscher berichteten wiederum von Fund von "CasX" und "CasY", als alternative DNA-Schnipsler.

Der Wissenschaftswelt scheint der Rechtsstreit nebensächlich, sie nutzen das CRISPR/Cas9-System mittlerweile ausgiebigst. Chylinski arbeitet weiterhin in Wien mit CRISPR/Cas9, und zwar an den Vienna Biocenter Core Facilities. Aus dem Patentstreit halte er sich weitgehend heraus. Er unterstützt Forscher, die das System für gentechnische Veränderungen bei menschlichen Zellen und Modellorganismen wie Fruchtfliegen, Fadenwürmern und Mäusen nutzen wollen.

Unbeeindruckt vom Streit um die Rechte zur Erfindung sind das immer mehr, wie er erzählt: "CRISPR/Cas9 ist extrem populär geworden, und Leute, die zuvor nie Gentechnik genutzt haben, weil die Methoden zu teuer und zeitaufwändig waren, machen es nun regelmäßig, weil sie sehen, wie einfach das mit diesem System geht."

Heiße Anwärter auf Nobelpreis

Vielleicht können auch Charpentier, Doudna und Zhang bald auch wieder gemeinsam statt gegeneinander in Erscheinung treten. Laut Fachmagazin "Science" hatten sie noch vor einigen Jahren versucht, die Methode zusammen weiterzubringen, doch dann floss Venture-Kapital, Firmenkonstrukte entstanden und die Anwälte sowie wirtschaftliche Interessen kamen in den Vordergrund. "Ich wünschte, es wäre anders gelaufen", so Doudna. Möglicherweise bringen sie das Nobelpreiskomitee und die Ehre wieder zusammen, gelten doch alle drei als heiße Anwärter bei den kommenden Verleihungen.

So funktioniert die Genschere: Mit Hilfe der eingebauten Leitsequenz (Guide RNA) erkennt der CRISPR-Abschnitt zunächst das Ziel, also eine bestimmte Erbgut-Sequenz, die umgeschrieben werden soll. An CRISPR ist der Eiweißstoff Cas9 fixiert, er schneidet das Erbgut (das in Form eines DNA-Doppelstrangs vorliegt) an der gewünschten Stelle. Beide (CRISPR und Cas9) werden dafür synthetisch hergestellt und etwa mit Mikroinjektionen in die Zellen eingeführt.

An der durchtrennten Stelle im Erbgut werden die Reparatursysteme der Zelle aktiv und heften den DNA-Strang wieder zusammen. Dabei können Gene eingefügt oder ausgeschaltet werden, man kann defekte Erbgut-Teile ersetzen und einzelne DNA-Buchstaben verändern. Dadurch sind Eingriffe ins Erbgut viel schneller, genauer, einfacher und günstiger als mit den bisherigen Verfahren. So ist nicht nur in der Genforschung vieles einfacher geworden, sondern man könnte damit auch Erbfehler ausbessern, ganze Populationen etwa der Malaria-Mücke ausrotten, Nutzpflanzen verändern und Blutzellen gegen das HI-Virus immun machen.

(APA/red, Foto: APA/APA (Hirsch))

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