An unseren Schulen wird mehr als nur ein Deutsch gesprochen

7. Juli 2016 - 12:03

An Österreichs Schulen werden nicht nur verschiedene Sprachen gesprochen, sondern auch mehr als nur ein Deutsch: Neben der Standardsprache verwenden Lehrer wie Schüler im Unterricht auch Umgangssprache und Dialekt. Das zeigt eine Studie, deren Ergebnisse die Autoren Rudolf de Cillia und Jutta Ransmayr bei der Tagung "Deutsch in Österreich" der Uni Wien präsentieren.

Zweieinhalb Jahre sind die Wissenschafter für das FWF-Projekt "Das österreichische Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache" per Fragebogen, in Interviews, Gruppendiskussionen und Unterrichtsbeobachtung der Frage nachgegangen, welche Rolle das österreichische Deutsch und seine verschiedenen Varianten im Unterricht spielen. Dabei zeigte sich, dass alle drei sogenannten Varietäten (Standard-, Umgangssprache, Dialekt) in der Schule wichtig sind. Ausnahme ist Vorarlberg: Hier spielt Umgangssprache - eine etwas saloppere Ausdrucksweise zwischen Standardsprache und Dialekt - kaum eine Rolle. Ähnlich wie in der Schweiz wechseln die Schüler dort meist zwischen den beiden Extrempolen Standarddeutsch und Dialekt.

Schüler verwenden dabei laut Lehrer-Befragung mehr Umgangssprache und Dialekt als ihre Pädagogen. Unterschiede gibt es auch nach Region: Schüler in Ostösterreich setzen stärker auf die Standardsprache. Lehrer haben sogar beobachtet, dass es für manche Schüler in Westösterreich eine Herausforderung ist, ein Referat in der Standardsprache zu halten. "Wichtig wäre ein reflexiver Umgang mit Varietäten und situativen Normen im Unterricht und dass alle Schüler Sicherheit in der Verwendung der Standardsprache erlangen", resümiert Ransmayr die Ergebnisse der Lehrerbefragung.

Deutliche Unterschiede je nach Schultyp

85 Prozent der Lehrer nutzen in der Klasse laut eigenen Angaben beim Vortragen von Lernstoff die Standardsprache, beim Erteilen von Arbeitsaufträgen tun das noch zwei Drittel. Geht es um disziplinäre Fragen oder Organisatorisches, wechselt hingegen ein guter Teil der Lehrer in die Umgangssprache oder den Dialekt (52 bzw. 40 Prozent). Nach Schultypen gibt es allerdings auch beim Vortragen des Stoffs signifikante sprachliche Unterschiede: Lehrer von Hauptschulen bzw. Neuen Mittelschulen (NMS) tendieren stärker zu Umgangssprache als Volksschul- und AHS-Lehrer. Lehrer, die Deutsch sowie eine weitere Sprache unterrichten, orientieren sich indes sehr stark an der Standardsprache. Auch an den Unis ausgebildete Lehrer setzen stärker auf Standardsprache als jene, die an Pädagogischen Hochschulen (PH) ausgebildet wurden. Ein weiterer Befund: Jüngere Lehrer tendieren eher zur Umgangssprache als ältere und verwenden auch eher Deutschlandismen (etwa: Junge statt Bub).

Projektleiter de Cillia sieht dringenden Bedarf, die Varietäten des Deutschen in Österreich im Unterricht bewusst zu thematisieren. Vorrangige Aufgabe der Schule sei es zwar, die Normen einer korrekten Standardsprache zu vermitteln, aber nicht nur das: "Es geht darum, dass Kinder und Jugendliche lernen, sich authentisch auszudrücken. Man muss ihnen auch vermitteln, dass jede Sprachform - Standardsprache, Umgangssprache, Dialekt - legitim ist, wenn sie der Situation angemessen ist."

Geht es nach den Forschern, sollten außerdem sowohl Lehrer als auch Schüler sich intensiver mit den verschiedenen Varietäten des Standarddeutsch - etwa jenes in Österreich, Deutschland, der Schweiz - auseinandersetzen und sich dessen bewusst werden, dass es nicht nur ein einziges korrektes Deutsch gibt, sondern eben mehrere Varietäten davon. In Lehrplänen, Lehrbüchern und der Pädagogenausbildung findet derzeit laut de Cillia nur eine vage Beschäftigung mit dem Begriff des österreichischen Deutsch bzw. Deutsch in Österreich statt. Der überwiegenden Mehrheit der Lehrer (85 Prozent) sei sogar das Konzept der Plurizentrik (eine Sprache kann in mehreren gleichwertigen Standardvarietäten vorkommen) nicht einmal bekannt.

Austriazismen versus bundesdeutsche Ausdrücke

Dabei, so de Cillia, sei das österreichische Deutsch enorm wichtig als identitätsstiftendes Element. Ein Beleg dafür sei, dass anlässlich des EU-Beitritts Österreichs in einem Protokoll die Gleichstellung von 23 Austriazismen mit bundesdeutschen Ausdrücken festgeschrieben wurde. Gleichzeitig hat sich in der Untersuchung ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl österreichischer Schüler wie Lehrer in Bezug auf ihre Standardsprache gezeigt: Zwar bejahen 80 Prozent der Lehrer und 68 Prozent der Schüler die Frage, ob es ein österreichisches Standarddeutsch gibt; außerdem ist die überwiegende Mehrheit der Ansicht, dass ein überregionales österreichisches Standarddeutsch existiert, das sich vom Deutsch Deutschlands in manchen Bereichen klar unterscheidet. Allerdings lehnen nur 44 Prozent der Lehrer und 32 Prozent der Schüler die Feststellung "Deutsches Deutsch ist korrekter als österreichisches Deutsch" dezidiert ab; der Rest stimmt der Behauptung in unterschiedlicher Intensität zu.

Auch wenn diese Daten ein zum Teil ambivalentes sprachliches Selbstbewusstsein widerspiegeln und die Forscher gleichzeitig konstatieren, dass unter Schülern wie jüngeren Lehrern in bestimmten Bereichen "Austriazismen" durch "Deutschlandismen" ersetzt werden (z.B. die E-Mail, die Cola, die Eins), sieht de Cillia den Erhalt des österreichischen Deutschs nicht grundsätzlich gefährdet: "Die Schüler verwenden die Varietät, die sie durch die Eltern, die Schule und die Medien vermittelt bekommen."

Service: Tagung "Deutsch in Österreich und andere plurizentrische Kontexte: Variation - Kontakt - Perzeption" an der Universität Wien vom 7. bis 9. Juli

(APA/red, Bild APA)

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