1918/2018 - Erster Weltkrieg: Gewaltiges Gemetzel mit großen Folgen

12. November 2018 - 9:59

Die Welt gedachte am 11. November des Endes des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Die Relevanz der damaligen Ereignisse für die Jetztzeit scheint gering zu sein. Doch würde die Welt heute ganz anders aussehen, hätte es die "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts nicht gegeben.

"Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts stellte Weichen für die Gegenwart
"Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts stellte Weichen für die Gegenwart

Der Erste Weltkrieg fegte nämlich nicht nur Monarchien und Vielvölkerstaaten Europas weg, sondern war auch die Keimzelle für die totalitären Regime des Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Selbst der Nahost-Konflikt lässt sich auf den Ersten Weltkrieg zurückführen, konkret auf die "Balfour-Erklärung" zur Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina im November 1917. Auch die nicht eingehaltenen Versprechen von Briten und Franzosen gegenüber den Arabern wirken bis heute nach. Am nachhaltigsten bestimmt das Weltgeschehen heute der damals begonnene Aufstieg der USA zur Supermacht, die dem im "Großen Krieg" ausgebluteten Britischen Empire den Rang abliefen.

Doch vor allen Dingen war der Erste Weltkrieg ein gewaltiges Gemetzel. In den Worten der US-Historikerin Barbara Tuchman schob er sich "wie ein breiter Streifen verbrannter Erde zwischen uns und die Zeit davor". Buchstäblich eine ganze Generation wurde ausgelöscht. Die Hälfte aller französischen Männer zwischen 20 und 32 Jahren überlebte den Krieg nicht. In Deutschland fielen 35 Prozent aller Männer, die bei Kriegsausbruch zwischen 19 und 22 Jahre alt waren, schreibt Adam Hochschild in seinem Buch "Der Große Krieg". Insgesamt fielen rund zehn Millionen Soldaten in dem unter unvorstellbarem Materialeinsatz geführten Krieg. So werden in Frankreich immer noch jedes Jahr 900 Tonnen nicht explodierter Munitionskörper eingesammelt und vernichtet.

Zwei Pistolenschüsse

Am Anfang standen zwei Pistolenschüsse, abgefeuert vom serbischen Nationalisten Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 in Sarajevo. Sie trafen den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau Sophie tödlich. Princip wollte mit seiner Tat ein Zeichen gegen die österreichische Herrschaft in der früheren osmanischen Provinz Bosnien-Herzegowina setzen.

Österreich-Ungarn nahm die Ermordung des Thronfolgers zum Anlass, das "Balkanproblem" ein für alle Mal zu lösen. Der greise Kaiser Franz Joseph I. sei dabei keineswegs von seiner Armeeführung in den Krieg gedrängt worden, betont der Historiker Manfred Rauchensteiner im APA-Gespräch. Bereits zwei Tage nach dem Attentat von Sarajevo habe er seinen Willen zum Krieg bekannt gegeben, ein betont hart formuliertes Ultimatum an Serbien, dem am 28. Juli die Kriegserklärung folgte, sollte den Waffengang legitimieren.

Aus der geplanten Strafaktion gegen Serbien wurde aber nichts. Die gegenseitigen Verflechtungen der europäischen Staaten setzten nämlich eine Bündnisautomatik in Gang, die innerhalb einer Woche alle großen Mächte in den Konflikt hineinzog. Russland beantwortete die Kriegserklärung an seinen Verbündeten Serbien am 30. Juli mit der Generalmobilmachung, was wiederum das Deutsche Reich auf den Plan rief. Es befürchtete, von Russland und Frankreich in die Zange genommen zu werden und erklärte daher beiden Mächten den Krieg. Der Einmarsch deutscher Truppen im neutralen Belgien bewog am 4. August schließlich auch Großbritannien zum Kriegseintritt.

Sechs Millionen Soldaten

Innerhalb weniger Tage befanden sich in jenen Tagen sechs Millionen Soldaten auf den Weg zu den Fronten, getragen von einer unwirklich scheinenden Kriegshysterie, schreibt Hochschild. Er berichtet unter anderem von einem 33-jährigen Briten, der sich erschoss, weil er bei einer Rekrutierungsstelle als untauglich abgelehnt wurde. Und er zitiert einen jungen deutschen Kriegsfreiwilligen namens Adolf Hitler, den damals nur eine Sorge "quälte", nämlich, "ob wir nicht zu spät zur Front kommen würden".

Zunächst kämpften Russland, Frankreich, Großbritannien mit Serbien gegen die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn sowie das Osmanische Reich und Bulgarien. "Nach den Erfahrungen der Vergangenheit musste dieser Krieg von Anfang an für die beiden Mittelmächte als verloren gelten", urteilte der deutsche Weltkriegsteilnehmer und Historiker Hans Herzfeld in einem Artikel Anfang der 1960er Jahre.

Deutschland und Österreich-Ungarn begannen mit 3,8 Millionen Soldaten, die Entente-Mächte Russland, Frankreich und Großbritannien mit 5,8 Millionen. Noch schwerer wogen die gewaltigen Ressourcen der Entente außerhalb Europas, insbesondere das einen Drittel der Welt umspannende britische Kolonialreich, sowie ihre "erdrückende Überlegenheit" zur See.

Die einzige Hoffnung der Mittelmächte bestand darin, durch entsprechende Mobilisierung eine rasche Entscheidung auf dem europäischen Kriegsschauplatz herbeizuführen. Dieser Versuch schlug jedoch fehl. So scheiterten im August und Dezember 1914 zwei Offensiven Österreich-Ungarns gegen Serbien, während russische Truppen einen Großteil Galiziens besetzten. Im Westen konnten die Deutschen den ehrgeizigen "Schlieffen-Plan" zur Unterwerfung Frankreichs von Belgien aus nicht umsetzen. Mit der Schlacht an der Marne im September begann die Phase des verlustreichen Stellungskriegs an der Westfront.

Friede kein Thema

Nach den Niederlagen in Serbien und Galizien hing Österreich-Ungarn schon zu Weihnachten 1914 in den Seilen. Mit dem Verlust von einer Million Soldaten sei es zu diesem Zeitpunkt "eigentlich am Ende" gewesen, betont Rauchensteiner im APA-Interview. Dennoch unternahm der Kaiser nichts, um diesem Schrecken ein Ende zu bereiten. "Friede war für Franz Joseph bis zu seinem Tod 1916 kein Thema." Tatsächlich band er seinem Nachfolger Karl I. im September 1916 die Hände, indem er Österreich-Ungarn einer "Gemeinsamen Obersten Kriegsleitung" in Deutschland unterstellte. Karls Versuche, einen Friedensschluss mit der Entente zu erreichen, waren damit zum Scheitern verurteilt.

Während Österreich-Ungarn mit dem Kriegseintritt Italiens im Sommer 1916 einen bisherigen Verbündeten als weiteren Gegner bekam, unterlief den Deutschen Anfang 1917 mit dem U-Boot-Krieg gegen den Nachschubwege im Atlantik ein entscheidender Fehler. Dies löste nämlich den Kriegseintritt der USA im April 1917 aus, was die Entente in einer entscheidenden Situation stützte. Da half den Mittelmächten auch der Zusammenbruch Russlands, das nach der Oktoberrevolution einen Separatfrieden schloss, nichts mehr.

Im letzten Kriegsjahr, eingeläutet durch das 14-Punkte-Programm von US-Präsident Woodrow Wilson zur Nachkriegsordnung (8. Jänner), wandte sich das Blatt endgültig zugunsten der Alliierten. Gleich fünf deutsche Offensiven an der Westfront schlugen fehl, im August folgte der Rückzug an die "Siegfriedlinie". Das Endspiel wird Ende Oktober durch einen italienischen Schlag gegen Österreich-Ungarn ausgelöst, bei dem sich die österreichische Südfront auflöste. Deutschland war in einer ausweglosen Situation, da es nun auch vom Süden angegriffen werden konnte. Acht Tage nach dem Waffenstillstand Österreich-Ungarns mit den Alliierten am 3. November gab auch Deutschland auf.

Aus für Kaiserreich

Weder das deutsche noch das österreichische Kaiserreich überstanden den Krieg. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. dankte schon zwei Tage vor dem Waffenstillstand von Compiegne am 11. November ab, Karl unterzeichnete an diesem Tag seine Verzichtserklärung. Zu diesem Zeitpunkt war sein Reich bereits zerfallen. Vom 28. bis 31. Oktober sagen sich Tschechen, Südslawen und Ungarn von der Monarchie los, auch die deutschsprachigen Reichsratsabgeordneten bildeten eine eigene Regierung.

Das am 12. November verkündete "Deutsch-Österreich" suchte sein Heil im Anschluss an das Deutsche Reich, doch wurde dies von den Alliierten verboten. Das anderen europäischen Völkern gewährte Selbstbestimmungsrecht wurde den Deutschen verweigert, weil dies Territorialgewinne für den Kriegsverlierer zur Folge gehabt hätte. Stattdessen mussten die Kriegsverlierer Deutschland, Österreich, Ungarn, Türkei und Bulgarien in den Pariser Vororteverträgen harte und demütigende Friedensbedingungen akzeptieren, die den Keim des nächsten Konflikts in sich tragen.

Der Friedensvertrag von Versailles mit Deutschland am 28. Juni 1919, genau fünf Jahre nach den folgenschweren Schüssen von Sarajevo, markierte somit den Beginn weiteren Unheils, das 20 Jahre später in einem weiteren, noch schrecklicheren Weltkrieg kulminieren sollte. Die auf politischem Misstrauen, drückenden Reparationszahlungen und hohen Zollmauern fußende "Friedensordnung" stieß den Kontinent nämlich schon bald in neue politische und wirtschaftliche Krisen, mit dem Aufstieg autoritärer und kriegshetzerischer Bewegungen wie der deutschen Nationalsozialisten als Konsequenz.

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa))

tutor18

Studium.at Logo

© 2010-2021  Hörsaal Advertainment GmbH

Kontakt - Werbung & Mediadaten - Datenschutz - Impressum

Studium.at versichert, sämtliche Inhalte nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und aufbereitet zu haben.
Für etwaige Fehlinformationen übernimmt Studium.at jedenfalls keine Haftung.