175 Jahre ÖAW: Unbelohnte "Selbstnazifizierung" der Akademie

12. Mai 2022 - 8:23

"Vorauseilend" verpflichtete sich die Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gleich nach dem "Anschluss" 1938, "Wissenschaft im Dienste des deutschen Volkes [...] zu fördern" und versuchte sich bis 1945 "als willfährige NS-Akademie zu profilieren". Doch ihre "Selbstnazifizerung" habe sich letztlich als "wenig gewinnbringend erwiesen", zeigen Historiker im 1.845-seitigen Werk "Die Österreichische Akademie der Wissenschaften 1847-1922", das zum 175-Jahr-Jubiläum der ÖAW erscheint.

Die Akademie als "geschlossene Männerdomäne" hat eine lange Tradition
Die Akademie als "geschlossene Männerdomäne" hat eine lange Tradition

Die dreibändige, von den Historikern Johannes Feichtinger und Brigitte Mazohl herausgegebene "neue Akademiegeschichte", so ihr Untertitel, ist das Ergebnis einer Arbeitsgruppe, die damit keine klassische, Ereignisse aufzählende Institutionenhistorie vorgelegt hat. Anliegen sei es vielmehr gewesen, die Geschichte der ÖAW als "moderne Wissenschaftsgeschichte" zu schreiben und sie "in die jeweiligen historischen, politischen und sozialen Kontexte der Zeit einzubetten", erklärte Mazohl gegenüber der APA. Dazu wurden auch neue Quellenbestände in österreichischen und ausländischen Archiven erschlossen, was zu manch "überraschenden neuen Erkenntnissen" geführt habe.

Wiens Rolle bei der Gleichschaltung der Akademien

So haben die Wissenschafter etwa in Berlin Archive eingesehen und gezeigt, welch bisher unbeachtete Rolle Wien bei der Gleichschaltung der Akademien im "Dritten Reich" zukam: Die Satzungen sämtlicher Akademien im "Altreich" wurden im nationalsozialistischen Sinn umgestaltet, vor allem was den Ausschluss von jüdischen Mitgliedern betraf. "Die Wiener Akademie sollte quasi das Modell für die anderen Akademien im 'Dritten Reich' werden", sagte Mazohl.

"Unmittelbar nach dem 'Anschluss' übernahmen bereits der (illegalen) NSDAP angehörige Mitarbeiter, in Eigeninitiative und mit Duldung der Akademieleitung, Institute und Kommissionen und nazifizierten die Forschungsprogramme. Die als Juden verfolgten Institutsleiter wurden abgesetzt und durch vormals illegale NSDAP-Mitglieder ersetzt, die Mitarbeiter/innen jüdischer Herkunft freigestellt", schreiben die Historiker. Ein Vergleich zeigte, dass Wien - gemeinsam mit Heidelberg - den höchsten Anteil an Parteimitgliedern innerhalb der Gelehrtengesellschaften des Deutschen Reichs hatte.

"Die Hoffnungen, die vonseiten der Akademie in den Nationalsozialismus gesetzt wurden, wurden allerdings bitter enttäuscht", so die Wissenschafter. Es habe sich ganz klar die "Tendenz zu einer Provinzialisierung der Wiener Akademie gezeigt, die damit nicht mehr die Rolle gespielt hat, die sie im Habsburgerreich hatte, als sie Dreh- und Angelpunkt für ganz Mitteleuropa war", betonte Mazohl. Wichtig seien die Akademien im "Altreich" gewesen, Österreich habe im Grunde keine Rolle mehr gespielt.

"Glimpfliche" Entnazifizierung für ehemalige NSDAP-Mitglieder

Nach 1945 sei die Entnazifizierung für die ehemaligen NSDAP-Mitglieder in der Akademie "glimpflich" verlaufen. "1948 nach dem österreichischen Amnestiegesetz waren alle wieder da - mit ganz wenigen Ausnahmen", erklärte Feichtinger auf der ÖAW-Homepage. Selbst das wirkliche Akademiemitglied Oswald Menghin, 1938 Unterrichtsminister im Kabinett Seyß-Inquart, wurde 1959 als korrespondierendes Mitglied im Ausland wieder in die ÖAW aufgenommen. Der Prähistoriker Menghin war 1945 aus der Akademie ausgeschlossen worden, nach dem Krieg wurde gegen ihn Anklage nach dem Kriegsverbrechergesetz erhoben, das Verfahren später aber eingestellt, und 1948 wanderte er nach Argentinien aus.

Die Historiker beleuchten in der Jubiläumspublikation erstmals auch systematisch die Geschichte weiblicher Mitglieder und Mitarbeiterinnen der Akademie. Frauen hätten bereits seit dem 19. Jahrhundert an der Akademie mitgearbeitet, in der Regel aber den Männern zugearbeitet, oft in Laboren oder im häuslichen Bereich, "ohne dafür bedankt oder genannt zu werden". Dagegen ist die Geschichte weiblicher Akademiemitglieder eine vergleichsweise kurze und die ÖAW sei den Universitäten - was die Zulassung von Frauen betrifft - "sehr stark hinterhergehinkt", betonte Mazohl.

Zutritt für Frauen verboten

Die Akademie als "geschlossene Männerdomäne", wie es in der Publikation heißt, hat eine lange Tradition: So stellte sich aufgrund einer Anfrage bereits 1849 die Frage, ob Frauen auch an den eigentlich öffentlichen Klassensitzungen oder anderen Vortragsabenden anwesend sein dürfen - ein Ansinnen, das nach einigen Sitzungen und Beratungen abgelehnt wurde. Es dauerte dann 100 Jahre, bis 1948 die Physikerin Lise Meitner als erste Frau in die Akademie gewählt, als korrespondierendes Mitglied im Ausland.

"Bis dann ein erstes wirkliches Mitglied gewählt wurde, verging noch einmal eine Generation - das war 1973 die Atomforscherin Berta Karlik", so Mazohl. Frauen als Wissenschafterinnen seien "de facto bis zum Ende der 1980er Jahre und auch darüber hinaus - von der Mitgestaltung der Akademieagenden so gut wie ausgeschlossen" gewesen, heißt es in dem Buch. Für die Autoren ist eine "derart späte Öffnung der Akademie für Frauen angesichts der Tatsache, dass die erste Habilitation einer Frau an der Universität Wien knapp 100 Jahre zuvor, im Jahr 1905, erfolgt war und in nahezu allen (auch den geisteswissenschaftlichen) Fächern bereits in den 1960er-Jahren Frauen als Professorinnen an den Universitäten Fuß gefasst hatten, doch erstaunlich".

Ab dem ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende könne insgesamt von einem rascheren und kontinuierlichen Anstieg von weiblichen Mitgliedern in allen Kategorien gesprochen werden, die aktuellen Zahlen würden aber zeigen, dass "von einer Geschlechterparität noch lange keine Rede sein kann": Von insgesamt 754 Mitgliedern aller Kategorien waren im Jahr 2020 nur 18,3 Prozent Frauen, wobei dieser Prozentsatz vor allem der Jungen Akademie zu verdanken sei, wo der Frauenanteil bei mehr als 50 Prozent liege, was auf gezielte Gleichstellungsbemühungen zurückzuführen sei.

Service: Johannes Feichtinger/Brigitte Mazohl (Hg.): "Die Österreichische Akademie der Wissenschaften 1847-2022. Eine neue Akademiegeschichte", 3 Bände, Verlag der ÖAW, 1.845 S. 99,00 Euro, ISBN: 978-3-7001-9051-6

(APA/red, Foto: APA/Verlag der ÖAW)

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