1938/2018 - Der "Anschluss" Österreichs an Nazideutschland

20. Februar 2018 - 11:06

Im Nachhinein wirken die Ereignisse in den Monaten vor dem "Anschluss" im März 1938 wie eine schiefe Ebene, in der alles auf die Ausweitung der nationalsozialistischen Machtsphäre auf Österreich hinauslief. Und doch bietet die Dramatik der Ereignisse einen steten Wechsel von Hoffen und Bangen. Für das Land ging es um seinen Fortbestand, für nicht wenige Menschen um ihre Existenz.

Blick vom Balkon oder Altan am Heldenplatz an der Hofburg
Blick vom Balkon oder Altan am Heldenplatz an der Hofburg

Seit der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland waren die Nazis auch in Österreich aktiv. Obzwar schon im Juli 1933 verboten, wurde offen agitiert und oft auch Gewalt ausgeübt - mit über 200 Toten in den fünf Jahren bis zum "Anschluss". Höhepunkt war der versuchte Juli-Putsch der NSDAP 1934, bei dem Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erschossen wurde. Der Druck aus Deutschland wurde - etwa durch die den Tourismus hart treffende "Tausend-Mark-Sperre" oder durch den Zwang, Nationalsozialisten in die Regierung aufzunehmen - immer größer.

Einschüchterungspolitik am Höhepunkt

Den für Österreich demütigenden Höhepunkt dieser Einschüchterungspolitik bildet am 12. Februar 1938 ein Treffen des österreichischen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden, bei dem harte Bedingungen diktiert werden, widrigenfalls ein Einmarsch durchgeführt werde. Der Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart soll Innen- und Sicherheitsminister werden, 3.000 inhaftierte Nationalsozialisten seien freizulassen.

In einer vom Rundfunk und auf öffentliche Plätze übertragenen dramatischen Rede versucht Schuschnigg am 24. Februar, das Ruder noch einmal herumzureißen und verkündet: "Bis in den Tod Rot-Weiß-Rot!" Wenige Tage später kündigt er in Innsbruck für den 13. März eine Volksbefragung "für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich" an. Hitler wertet dies als Kampfansage und lässt die NS-Vertrauensleute in der österreichischen Regierung Arthur Seyß-Inquart und Edmund Glaise-Horstenau Schuschnigg ein Ultimatum zur Verschiebung der Volksbefragung stellen. Als die Frist verstreicht, unterzeichnet Hitler die "Weisung Nummer I betreffend Unternehmen Otto": "Ich beabsichtige, wenn andere Mittel nicht zum Ziel führen, mit bewaffneten Kräften in Österreich einzurücken."

Am 11. März um 14.30 Uhr teilt Schuschnigg Bundespräsident Wilhelm Miklas mit, dass er nachgeben und die Volksbefragung absagen werde. Doch schon eine halbe Stunde später folgt das zweite Ultimatum aus Berlin: Schuschnigg soll zurücktreten und Seyß-Inquart als Bundeskanzler Platz machen. Der soll dann, so das Kalkül der NS-Führung, ein vorbereitetes Telegramm mit der Bitte um den Einmarsch deutscher Truppen nach Berlin schicken. Doch Miklas weigert sich, den Nationalsozialisten zum Regierungschef zu ernennen und lässt um 19.30 Uhr auch ein weiteres Ultimatum verstreichen.

Nazi-Fake-News

In den Abendstunden dann eine Reihe von Falschmeldungen: Der Wiener Polizeipräsident Michael Skubl berichtet, dass deutsche Truppen schon die österreichische Grenze überschritten hätten. Der Kärntner Nazi Odilo Globocnik meldet nach Berlin, dass Seyß-Inquart mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. In der Zentrale der "Vaterländischen Front" beginnen Funktionäre damit, Dokumente zu vernichten, die nicht den Nazis in die Hände fallen sollen.

Um 19.47 Uhr tritt Schuschnigg im Bundeskanzleramt vor das Mikrofon und verkündet die Kapitulation. "Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, dass wir der Gewalt weichen. Wir haben, weil wir um keinen Preis, auch in diesen ernsten Stunden nicht, deutsches Blut zu vergießen gesonnen sind, unserer Wehrmacht den Auftrag gegeben, für den Fall, dass der Einmarsch durchgeführt wird, ohne Widerstand sich zurückzuziehen", verkündet der Kanzler und schließt mit: "Gott schütze Österreich."

Schuschniggs Rede ist für Zigtausende illegale Nazis das Signal zum Losschlagen, für den Rest der Bevölkerung der Beweis, dass der Kampf entschieden ist. Das Straßenbild in Wien und den großen österreichischen Städten ändert sich innerhalb von Minuten dramatisch. Die Machtübernahme vollzieht sich tumultartig, die Züge und Straßen Richtung Grenzen sind bald überfüllt. "Reibpartien", bei denen Passanten gezwungen werden, auf die Straßen gemalte Pro-Österreich-Parolen zu entfernen, dienen in den nächsten Tagen immer wieder der Erniedrigung von jüdischen Bürgern und Nazigegnern und der Belustigung der außer Rand und Band geratenen Anschlussbefürworter.

Einmarsch nicht mehr zu stoppen

Erst gegen Mitternacht gibt Bundespräsident Miklas seinen Widerstand auf und betraut Seyß-Inquart mit der Fortführung der Amtsgeschäfte. Der Einmarsch ist aber nicht mehr zu stoppen. Als erstes landet ein Vorauskommando der SS am Asperner Flughafen und beginnt mit der Verhaftung politischer Gegner. Am 12. März überschreiten um 5.30 Uhr die deutschen Truppen bei Passau und Schärding die Grenze. Militärischen Widerstand gibt es nicht, das Bundesheer zieht sich wie befohlen zurück. Die Bevölkerung begrüßt die Truppen mit Jubel und Blumen. Noch am 12. März erreichen die Panzerspitzen St. Pölten, in der Nacht auf den 13. März Wien.

Adolf Hitlers Wagenkolonne rollt am Nachmittag in Braunau am Inn über die österreichische Grenze. Er fährt an seinem Geburtshaus vorbei und dann Richtung Linz. Durch die vormarschierenden Truppen und die jubelnden Menschenmengen dauert die Fahrt erheblich länger als vorgesehen. Erst am Abend trifft er in Linz ein, wo ihn 60.000 bis 80.000 Menschen am Hauptplatz erwarten. Vom Balkon des Rathauses hält er seine erste Rede auf österreichischem Boden.

Von Linz aus werden die entscheidenden Weichenstellungen organisiert - so beschließt der letzte österreichische Ministerrat am späten Nachmittag des 13. März das "Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" - ehe Hitler am Vormittag des 14. März die Weiterreise nach Wien antritt, wo er im Hotel Imperial absteigt. Schon an diesem Tag säumen Hunderttausende die Straßen. Rund 250.000 Menschen sollen es sein, die Hitler am 15. März bei seiner Rede am Heldenplatz zujubeln, wo er vom Altan der Neuen Hofburg aus den "Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich" verkündet. In einer von der NS-Propaganda vorbereiteten Volksabstimmung am 10. April stimmen schließlich 99,7 Prozent der Österreicher für den "Anschluss".

Unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch beginnt der Terror gegen Juden und Andersdenkende. Der erste "Österreichertransport" bringt am 1. April hochrangige Beamte, Politiker und Funktionäre in das Konzentrationslager Dachau. Schätzungen gehen davon aus, dass bereits in den ersten sechs Wochen bis zu 76.000 Personen verhaftet werden. Besonders arg wütet der Mob gegen die jüdische Bevölkerung, bald setzt auch die systematische Verfolgung ein: 130.000 werden bis 1945 vertrieben, 65.000 ermordet. Schon wenige Wochen nach dem "Anschluss" beginnt man auch mit der Errichtung des Konzentrationslagers Mauthausen in Oberösterreich. Bis zum Kriegsende 1945 werden dort rund 100.000 Menschen ermordet.

Service: Dieser Artikel ist Teil eines umfangreichen Meldungspakets zum Gedenkjahr 2018. Sämtliche Hintergründe finden Sie unter http://science.apa.at/Gedenkjahr2018.

(APA/red, Foto: APA/APA (Schlager))

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