Experten: Sicherere Geburten verschieben Fokus auf Schwangerschaft

19. September 2017 - 12:25

Durch die in Industrieländern sicherer gewordenen Geburten und die Errungenschaften der Pränataldiagnostik verschiebe sich die Aufmerksamkeit auf die Zeit der Schwangerschaft. Angesichts dieses Trends warnten Experten bei einer Diskussion in Wien jedoch vor einer Überbewertung dieser wichtigen ersten Lebensphase. Die Rolle der schwangeren Frau und des Umfelds erfahre eine Umdeutung.

v.li.: Moderatorin Helmberger-Fleckl, Janus, Maier, Husslein, Mitteröcker
v.li.: Moderatorin Helmberger-Fleckl, Janus, Maier, Husslein, Mitteröcker

Die Einstellung der Frau während und zu ihrer Schwangerschaft wirke sich natürlich auf das Kind aus, sagte Peter-Wolf Husslein von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) bei dem vom Wissenschaftsministerium veranstalteten "Science Talk" mit dem Titel "Vorgeburtliche Phase im Fokus: Vor der Geburt ist nach der Geburt?". Während der Schwangerschaft glücklichere Mütter hätten seiner Erfahrung nach zufriedenere Kinder, umgekehrt würden die Kinder gestresster Mütter erhöhte Stresslevel zeigen.

Geburten wurden sicherer

Die Entdeckung, dass die Kindheit für unser Erwachsenenleben wichtig sei, wurde erst vor hundert Jahren gemacht, erklärte der Pränatalpsychologe Ludwig Janus. Erst danach kam die Frage nach den Einflüssen der vorgeburtlichen Erfahrung auf. Das, so Janus, könne damit zusammenhängen, dass die Geburt in den vergangenen Jahrzehnten immer sicherer geworden ist und man sich somit verstärkt auch der Zeit der Schwangerschaft widmen könne.

Diesbezüglich riet Gynäkologin Barbara Maier zur Vorsicht: "Die Mutter wird nicht mehr als Container, sondern als Akteurin gesehen", man laufe Gefahr, alle Verantwortung auf die Mutter abzuwälzen. "Wieder einmal sind Frauen die, an denen alles hängt, die alles abbekommen." Geburt sei nicht nur ein Ereignis für die Frau. Partner, Familie, Herkunft und Geschichte spielen dabei ebenso eine Rolle. "Wir brauchen eine andere Sichtweise, die nicht nur die Frau in den Blick nimmt", sagte Maier. Gleichzeitig, so Husslein, solle man der pränatalen Phase nicht zu viel Bedeutung beimessen. Auch die Geburt sowie die Folgejahre spielen bei der Entwicklung eines Kindes eine Rolle.

Geburtsvorgang immer komplizierter

Der Geburtsvorgang beim Menschen wurde durch den aufrechten Gang und das dadurch schmäler gewordene Becken komplizierter, erläuterte Evolutionsbiologe Philipp Mitteröcker. Gleichzeitig wurde das Gehirn und damit der Kopf immer größer. "Der Mensch hat im Vergleich zu anderen Primaten einen großen Kopf, verhältnismäßig dazu einen schmalen Geburtskanal. Vor Zeiten des Kaiserschnitts unterlag eine Frau mit schmalem Becken einem enormen Risiko und hatte deshalb wenige oder gar keine Kinder. Die Gene, die sich aus Becken und Geburtsgewicht auswirken, wurden kaum weitergegeben."

Da eine natürliche Geburt kompliziert und ein medizinischer Eingriff immer ungefährlicher sei, steige die Kaiserschnittrate "in allen Ländern der Ersten Welt kontinuierlich an", erläuterte Husslein. Der Geburtsbeginn habe laut Maier mit der Interaktion von Mutter und Kind zu tun: "Bei einem Kaiserschnitt wird das Kind ohne Vorwarnung auf die Welt geholt. Es wäre spannend, in den Geburtsvorgang vorzudringen und herauszufinden, was das Kind dabei erlebt."

"Bonding"-Prozesse bestimmen Bindungsverhalten

Einig sind sich die Experten bei der Bedeutung von "Bonding"-Prozessen. Von Schwangerschaft über Geburt bis zu den Jahren danach bestimmen sie unser Bindungsverhalten, so Maier. Deshalb stehe sie der Pränataldiagnostik zur Früherkennung von Krankheiten an Föten kritisch gegenüber: "Viele Frauen setzen den Bindungsvorgang für die Zeit aus, wo sie noch kein Testergebnis haben, um sich selber zu schützen, falls es dazu kommt, dass sie sich von dem Kind trennen."

Frauen bräuchten vor allen Dingen Rückhalt, erklärte Janus. In einer sicheren Situation entspannen sich Muskeln und Knorpel, die Geburt gehe dadurch leichter. Ausschlaggebend sei besonders eine permanente Unterstützung durch eine Hebamme. Nichtsdestotrotz hängen viele schwierige Schwangerschaften mit schwierigen Umständen zusammen, die sich nicht durch Hebammenbetreuung ausgleichen lassen, so der Pränatalpsychologe. Hier sei der Staat gefragt, denn: "Stimmt die Basis nicht, kostet das anschließend unheimlich viel Geld."

(APA/red, Foto: APA/BMWFW/Thomas Wagner)

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