"New Highlander": Landliebe zieht Städter ins Gebirge

18. September 2017 - 12:25

"New Highlander" werden Menschen genannt, die von der Stadt ins Gebirge ziehen. Dabei handelt es sich um einen wenig beachteten, aber weltweiten Trend, der am Österreichischen Ostalpenrand aber vorbeigeht. Zur Ansiedelung in den alpinen Raum motivieren nicht nur landschaftlicher Reiz und Abgeschiedenheit, sondern auch die Landliebe, gab ein Forscherteam der Universität Innsbruck bekannt.

Dordolla im Val Àupa (Friaul) ist Paradebeispiel für Wiederbelebung eines Dorfes
Dordolla im Val Àupa (Friaul) ist Paradebeispiel für Wiederbelebung eines Dorfes

Anzeichen für einen demografischen Aufschwung haben die Wissenschafter in den Alpen statistisch nachgewiesen. Selbst in abgelegenen Gebieten, die von Abwanderung, niedriger Geburtenrate und hohem Altersdurchschnitt geprägt sind, findet seit einigen Jahren ein Bevölkerungsaustausch statt, so das Ergebnis des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts zu alpinen Wanderungsbewegungen. Dabei wurden insgesamt 70 Gegenden mit starker Zu- und Abwanderung in Slowenien, Frankreich, Italien und Osttirol untersucht.

Diese Entwicklung sei darauf zurückzuführen, dass zunehmend Menschen von der Stadt ins Gebirge ziehen. In manchen Orten könne man sogar von "einer Art alpinen Gentrifizierung" sprechen, berichtete Projektleiter Ernst Steinicke vom Institut für Geografie. Mit Gentrifizierung ist der Zuzug wohlhabender Bevölkerungsgruppen und die Abwanderung Ärmerer gemeint.

Keine reine Wohlstandsmigration

Die "Amenity Migration" genannte Wanderungsbewegung sei jedoch keine reine Wohlstandsmigration, bei der sich Zuzügler aufgrund von Annehmlichkeiten wie Sicherheit, Abgeschiedenheit und landschaftlichem Reiz einen zweiten Wohnsitz außerhalb der Stadt kaufen. Sie folge auch dem französischen "Neo-ruralisme", was man als "neue Landliebe" übersetzen könne. Der Trend habe in den ausgehenden 1960er-Jahren im französischen Teil der Westalpen begonnen und sei in den 90er-Jahren nach Italien "übergeschwappt", erklärte der Experte der APA. In den französischen Alpen sei die Zuwanderung heute stärker als die Abwanderung, in Italien halten sich Zu- und Abwanderung die Waage.

Die Stadtflucht der "New Highlander" müsse man vom Erwerb eines Zweitwohnsitzes zu Erholungszwecken unterscheiden, betonte Steinicke. Die neuen Bergbewohner würden keine Freizeitwohnsitze gründen, sondern sich häufig längerfristig ansiedeln, multilokal arbeiten und sich in die Dorfgemeinschaft integrieren. Durch niedrige Grundstückspreise in peripheren Gebieten sei dies auch für jüngere Menschen und unterschiedliche Bevölkerungsgruppen leistbar.

Zu den "Counter-Urbanen", die für immer aus der Stadt flüchten, gehörten Menschen, die im Ruhestand in ihre Heimat zurückkehren. Andere kämen durch Heirat oder als Gastarbeiter ins Gebirge, berichteten die Experten. Eine weitere spannende Gruppe seien die "New Farmers": So nennen Wissenschafter junge Menschen ohne agrarischen Hintergrund, die ihren Traum von Selbstversorgung und Sinnsuche verwirklichen wollen.

Verlassene Dörfer neu besiedelt

"Im Friaul haben wir echte 'Ghost Towns' gefunden, verlassene Dörfer, die neu besiedelt wurden. Manche Orte haben sich von einstelligen zu dreistelligen Einwohnerzahlen gesteigert", erläuterte Steinicke. Voraussetzungen für den Zuzug seien meist ein befahrbarer Weg und eine Internetverbindung, da viele "New Highlander" vom zweiten Wohnsitz aus arbeiten wollen. "Wir schätzen, dass im italienischen Alpenraum seit dem Jahr 2002 jährlich knapp 3.000 Menschen in den ländlichen Raum zuwandern", sagte Steinicke.

"Zuwanderer werden in Peripheriegebieten eher als Bereicherung empfunden und als Impulsgeber geschätzt", stellte der Forscher in Italien fest. Sie engagierten sich im kulturellen Leben und seien in die Dorfgemeinschaft integriert. Die Mithilfe neuer Landwirte könnte zum Beispiel auch den Hochwasserschutz in einem Dorf verbessern. Wenn jedoch zu viele Zuzügler kommen, würden die Bodenpreise steigen und die Jungen könnten sich kein Grundstück mehr leisten - Steinicke nennt das den "Kitzbühel-Effekt".

Den Gegentrend zur Landflucht hat der Geograph erstmals in der kalifornischen Sierra Nevada (USA) bemerkt. Heute erreichen ihn laufend Berichte über vergleichbare Phänomene in Gebirgszügen weltweit. Eine österreichische Region stelle jedoch eine Ausnahme dar: Der Ostalpenrand - in der Steiermark, dem südlichen Niederösterreich und Kärnten - werde als einzige Region der Alpen von dieser positiven Wanderungsbewegung nicht erfasst.

Dies liege daran, dass die Gegend von Großgrundbesitz geprägt und die Holznutzung stark sei: "Wenn kein Grundverkehr möglich ist, ziehen Menschen weg, aber es kommen keine neuen dazu. Daran wird sich bis auf weiteres auch nicht so viel ändern", schätzen die Experten.

Service: https://www.uibk.ac.at/geographie/migration/

(APA/red, Foto: APA/Uni Innsbruck/DCA)

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