Wirksamkeitsprüfung vor medikamentöser Krebstherapie

22. Juni 2017 - 12:25

In einer Pionierstudie haben Onkologen vom Comprehensive Cancer Center (CCC) von AKH und MedUni Wien gezeigt, dass eine personalisierte zielgerichtete Therapie Krebspatienten auch dann noch hilft, wenn die etablierten Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Hämatologen vom CCC wollen jetzt in einer neuen Untersuchung die Auswahl der Medikamente durch eine Labor-Wirksamkeitsprüfung optimieren.

Deutlich längeres Überleben bei guter Lebensqualität möglich
Deutlich längeres Überleben bei guter Lebensqualität möglich

Am Anfang dieser Entwicklung an der Wiener Universitätsklinik stand ab 2013 die sogenannte EXACT-Studie. In der Behandlung von Patienten mit trotz der Anwendung aller bekannten und wissenschaftlich belegten Therapien fortschreitenden Krebserkrankungen haben Wissenschafter der Klinischen Abteilung für Onkologie von MedUni Wien und AKH unter Gerald Prager mit personalisierten medikamentösen Therapie gute Erfolge erzielen können. Bei 36 von 55 Behandelten, bei denen nach der Bestimmung von möglichen Angriffspunkten für zielgerichtete Therapeutika doch noch ein weiterer Behandlungsversuch erfolgen konnte, zeigte sich ein um zumindest 30 Prozent längerer Therapieerfolg als bei der zuvor verwendeten Tumortherapie.

Bei 59,6 Prozent der Behandelten konnte eine Krankheitskontrolle erreicht werden. 27 Prozent der Patienten zeigten einen Rückgang des Tumors, bei vier Prozent verschwand der Tumor vorübergehend komplett. Die durchschnittliche Überlebenszeit der Kranken betrug 209 Tage. Einzelne überlebten aber trotz der sehr fortgeschrittenen Krebserkrankung bis zu an die 1.000 Tage. Dies berichtete Prager nun bei einer Enquete an der MedUni Wien, bei der die Resultate dieser Studie erstmals einer Fachöffentlichkeit vorgestellt wurden. Eine solche Strategie sei machbar, könne für manche Krebspatienten trotz schwerster Erkrankung ein deutlich längeres Überleben bei guter Lebensqualität bedeuten, betonte der Onkologe.

Im Rahmen der Studie wurden nach der Einverständniserklärung der Patienten Tumor-Gewebeproben genetisch auf charakteristische Mutationen und sonstige Charakteristika untersucht. Die medikamentöse Therapie wurde dann ganz genau darauf abgestimmt.

Studie mit Leukämie- oder Lymphompatienten

Die Entwicklung geht weiter. Wiener Hämatologen verfolgen jetzt bei Leukämie- oder Lymphompatienten, bei denen die Krankheit nach mehreren medikamentösen Therapien weiter fortschreitet, eine ähnliche Strategie. Zielgerichtete Arzneimittel für die folgende Behandlung werden im Labor auf ihre Wirksamkeit getestet. Erste Zwischenergebnisse sprechen für einen positiven Effekt, sagte Philipp Staber von der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie von MedUni Wien und AKH. "Wir wollen insgesamt hundert Patienten in die Studie aufnehmen und haben die Rekrutierung fast abgeschlossen". Mit einigen Unterschieden übertrage man die Prinzipien der EXACT-Untersuchung auf die Hämatologie.

Bei dieser wissenschaftlichen Untersuchung handelt es sich um die sogenannte EXALT-Studie (Extended Analysis for Leukemia/Lymphoma Treatment), in der die Möglichkeiten einer zielgerichteten Therapie bei Blutkrebs untersucht werden sollen. Es geht darum, auf der Basis von molekularbiologischen Tests jene Arzneimittel auszusuchen, welche den stärksten Effekt beim einzelnen Patienten haben.

Bei den Probanden handelt es sich um Leukämie- oder Lymphompatienten, die schon bis zu sieben verschiedene Therapien hinter sich haben und für die es keine wissenschaftlich belegte Behandlungsmöglichkeiten mehr gibt. "Mit jedem Rückfall verringert sich die Wirkungsdauer einer weiteren Therapie", sagte Staber. Die Hämatologen arbeiten bei der Studie eng mit Wissenschaftern vom CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) zusammen. Pathologen und die CeMM-Wissenschafter analysieren von den Patienten gewonnene Proben (Blut, Knochenmarkzellen oder Lymphomzellen) auf ihre Merkmale.

Bösartige Blutzellen im Labor-Test

Im Rahmen der wissenschaftlichen Untersuchung der Wiener Hämatologen werden aber nicht nur die molekularbiologischen Eigenschaften der bösartigen Blutzellen untersucht. "Wir führen auch eine funktionelle Austestung von Medikamenten auf die mögliche und zu erwartende Wirkung durch", sagte Philipp Staber.

Das erfolgt mit dem in den vergangenen Jahren am CeMM entwickelten Pharmacoscopy-System. Im Grunde ähnelt das jenen Verfahren im Labor, mit denen Mikrobiologen zum Beispiel die mögliche Wirksamkeit von Antibiotika gegen Bakterien austesten und den behandelnden Ärzten dann den entsprechenden Hinweis für die Auswahl des "richtigen" Medikaments geben.

Das CeMM-System basiert auf der Kombination eines hochmodernen, automatisierten Hochdurchsatz-Fluoreszenzscanners, eines hochauflösenden Bildanalyseverfahrens, das einzelne Zellen erfassen kann sowie auf einem speziell entwickelten analytischen Algorithmus. Die vom Patienten stammenden bösartigen Zellen werden auf Mikrotiter-Platten aufgebracht. Aus einer rund 350 Wirksubstanzen umfassenden "Bibliothek" wird zu jeder der Zellproben eine andere Substanz hinzugefügt. "Dabei wird festgestellt, wie stark es zum Zelltod kommt", sagte Staber. Das auf diese Weise wahrscheinlich wirksamste Medikament oder eine Kombination wird dann in der Therapie des jeweiligen Patienten eingesetzt.

Zusätzliche Behandlungsmöglichkeiten für Blutkrebserkrankung

Die wissenschaftliche Studie ist noch im Laufen. Doch es gibt bereits aus einer Zwischenanalyse Hinweise darauf, dass mit dem System zusätzliche Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit fortgeschrittener Blutkrebserkrankung gefunden werden können. "15 von 17 Patienten aus der Zwischenauswertung zeigten ein komplettes oder zumindest teilweises Ansprechen auf die Behandlung", berichtete Staber. Bei zwölf der 17 Patienten, bei denen eine Therapieauswahl mit dem System erfolgte, konnte die Dauer bis zum Fortschreiten der Erkrankung um mehr als 30 Prozent im Vergleich zur vorangegangenen Behandlung gesteigert werden.

"Es muss sich aber erst erweisen, ob sich dieser Trend auch in der Gesamtauswertung der dann abgeschlossenen Studie zeigen wird", betonte der Hämatologe. Es handle sich derzeit nur um Zwischenergebnisse. Auch die Onkologen vom CCC wollen ihre Arbeiten zur Auswahl zielgerichteter Therapien für Kranke mit fortgeschrittenem Tumorleiden und nur noch beschränkten Behandlungsmöglichkeiten weiter verfolgen. Laut Prager soll eine weitere Studie zeigen, ob die Therapieauswahl auf der Basis von molekuarbiologischen Tumorcharakteristika im Vergleich zur Auswahl durch den Onkologen nach den herkömmlichen Kriterien bessere Behandlungserfolge bringt. Das soll de facto den entscheidenden Hinweis bringen, ob die neue Strategie einfach besser ist.

(APA/red, Foto: APA/APA (Hochmuth))

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