Beschleunigung und Lieblosigkeit als quälende Zeitgeister

23. März 2017 - 12:50

Die Beschleunigung aller Lebensäußerungen des Menschen und Lieblosigkeit ohne Denken an die Konsequenzen scheinen die Welt derzeit zu bestimmen. Erschöpfungszustände und Suchtverhalten sind oft die Folgen davon. Mit diesen Themen beschäftigt sich ein Symposium des Instituts für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien.

Donald Trump als personifizierte Lieblosigkeit
Donald Trump als personifizierte Lieblosigkeit

"Es gibt mehrere Zeitgeister, die uns durch den Kopf geistern", sagte der Leiter des Instituts, der Wiener Psychiater und Suchtexperte Michael Musalek bei einer Pressekonferenz aus Anlass der Veranstaltung an der Privatuniversität (24. März). Das Fatale am sogenannten Zeitgeist, wie der Experte betonte: "Er wirkt, obwohl er uns gar nicht so bewusst ist."

Trotzdem hätten unterschwellige Geistesströmungen einen enormen Einfluss auf Gesellschaft und Politik. Musalek nannte Lieblosigkeit im Umgang mit anderen Menschen als ein Beispiel. "Die massive Lieblosigkeit des Herrn Trump wird eigentlich nicht thematisiert", sagte er. Die bloß oberflächliche Diskussion über von dem US-Präsidenten verbreitete Unwahrheiten greife demnach zu kurz.

Beschleunigung und Erreichbarkeit

Ein zweites bestimmendes Phänomen der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung sei die rasante Beschleunigung aller Abläufe samt ständiger Erreichbarkeit des Menschen via Handy etc. "Technische Beschleunigung, soziale Beschleunigung, Beschleunigung des Lebenstempos mit Verkürzung sogar von Essens- und Schlafenszeit", führte der Psychotherapeut Martin Poltrum mit Verweis auf Philosophen und Psychologen (z.B. Hartmut Rosa) bestimmende Tendenzen an. Wenn die Menschen mit ständig wechselnden "Lebensabschnittspartnern" zurecht kommen müssten und davon auszugehen haben, dass sie in ihrem Leben zwei, drei oder noch mehr Berufe erlernen müssten, könne man sich gut vorstellen, dass Existenzängste um sich griffen.

Die psychischen bzw. psychiatrischen Konsequenzen werden immer deutlicher. Poltrum und Musalek führten dazu primär Burn-out-Zustände an. Dies entspreche der bereits aus den 1920er-Jahren bekannten "Neurasthenie", die damals offenbar die Folge der ersten Phase massiver Beschleunigung durch Eisenbahn, Elektrizität, moderne Medien etc. gewesen sei. Die Diagnose: "eine Art kollektive Erschöpfung" trotz wachsender Möglichkeiten erhöhter Effizienz (Internet, E-Mail, Luftfahrt etc.). "Wir müssten eigentlich enorm Zeit sparen. Aber wir haben immer weniger Zeit", sagte Poltrum.

"Afterwork-Achterl" als Ausweg

Auch Suchtverhalten könne als mehr oder weniger hilfloser Ausweg erscheinen, sagte Musalek. "Es ist kein Zufall, dass die Suchtproblematik da eine große Rolle spielt. Das ist für viele Menschen eine Ausstiegsmöglichkeit, die sicher keine Lösung darstellt. Das sind die Leute, die auf ein 'Afterwork-Achterl' gehen." Bluthochdruck und andere somatische Störungen seien ebenfalls die Folge.

Die Experten, so auch die Gesundheitspsychologin Ute Andorfer, sehen in einer zeitweisen Zurücknahme hektischer Alltagstätigkeiten eine Möglichkeit zum Gegensteuern. Das müsse nicht das Kippen in Achtsamkeits-Wahn bedeuten. Ausgleich durch freudvolle und entlastende geistige und/oder körperliche Betätigung wären angesagt. Und dem Zeitgeist könne man als Mensch sehr wohl aktiv begegnen und mitgestalten. "Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom", sagte Musalek.

(APA/red, Foto: APA/APA (AFP))

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