Babysimulator-Puppe kontraproduktiv? Mehr Schwangere!

29. August 2016 - 8:32

UPDATE 08.09.2016:
Stellungnahme der babybedenkzeit® GbR am Ende des Artikels.

 


Sie schreien, müssen gefüttert und gewickelt werden: Babysimulator-Puppen werden in vielen Projekten zur Verhinderung von Teenager-Schwangerschaften eingesetzt. Doch die Puppen können auch den gegenteiligen Effekt auf ihre jungen Pflegemütter haben, wie Forscher bei dem australischen Programm VIP (Virtual Infant Parenting) ermittelten.

Das Team um Sally Brinkman von der University of Western Australia in Adelaide hatte Daten von knapp 3.000 Schülerinnen analysiert. Es habe sich über mehrere Jahre hinweg keine Verringerung des Risikos von Teenager-Schwangerschaften eingestellt, schreiben die Autoren im Magazin "The Lancet". Mehr noch: "Verglichen mit den Mädchen in der Kontrollgruppe, gab es bei den Mädchen im VIP-Programm eine größere Häufigkeit von Schwangerschaften und Abtreibungen."

So gebaren acht Prozent der Mädchen in der Interventionsgruppe zumindest ein Kind, verglichen mit vier Prozent in der Kontrollgruppe. Zudem hatten neun Prozent der Teilnehmerinnen in der Gruppe mit den Baby-Simulatoren eine Abtreibung. In der Kontrollgruppe waren es nur sechs Prozent.

Öffentliche Mittel nicht optimal eimgesetzt

"Unsere Studie zeigt, dass das Programm zur Schwangerschaftsverhütung in Westaustralien, das einen Babysimulator verwendet, das Risiko einer Schwangerschaft bei Teenagern nicht verringert. Im Gegenteil, das Risiko ist sogar höher, verglichen mit Mädchen, die nicht an der Intervention teilnahmen", sagte Studienautorin Brinkman. Die Daten ließen den Schluss zu, dass solche Programme nicht den gewünschten langfristigen Effekt hätten. Sie stellten somit nicht den besten Einsatz öffentlicher Mittel zu diesem Zweck dar.

Das australische Programm VIP basiert auf dem US-Programm "RealityWorks". In Schulen werden Teenager über wichtige Aspekte wie Rauchen und Trinken in der Schwangerschaft, Ernährung, sexuelle Gesundheit oder Verhütung informiert. Sie sehen eine Videodokumentation über eine Teenager-Mutter und müssen sich ein Wochenende lang um eine Simulator-Puppe kümmern. Die Babypuppe weint, wenn ein Säugling gefüttert, gewickelt oder in den Schlaf gewiegt werden muss und speichert, wie gut die "Mutter" den Bedürfnissen nachgekommen ist.

In einem "The Lancet"-Kommentar schreibt Julie Quinlivan von der University of Notre Dame Australia in Fremantle, es gehöre mehr dazu, Teenager von Schwangerschaften abzuhalten, als ein solches Projekt. "Wir müssen uns an beide richten: Väter und Mütter." Zudem sollten die Programme schon in der Kindheit starten, da Teenagerschwangerschaften oft das Ergebnis von Ereignissen zu dieser Zeit seien. Es müsse darin investiert werden, besonders gefährdete Kinder vom Weg zur frühen Elternschaft abzulenken.

Idealisierung der Elternschaft

Zudem bekämen Teenager, die sich gut um ihren Baby-Simulator kümmerten, positives Feedback von Gleichaltrigen und Familie - gerade zu einer Zeit, in der sie sich danach sehnten, meint Quinlivan. Die kurze Zeit mit einer Puppe könne für sie zur Idealisierung der Elternschaft führen.

An der Studie waren 57 Schulen beteiligt - 1.267 Schülerinnen nahmen am VIP-Programm teil, 1.567 erhielten den Standard-Unterricht zum Thema Gesundheit und Schwangerschaft. Die Schülerinnen waren zu Studienbeginn zwischen 13 und 15 Jahre alt und wurden von den Autoren bis 20 begleitet. Die Autoren holten Daten aus Krankenhäusern und Abtreibungskliniken über Schwangerschaften der Teilnehmerinnen ein.

Bei der Arbeit handelt es sich nach Autorenangaben um die erste randomisierte kontrollierte Studie zum Einsatz von Babysimulatoren. Die Forscher gaben zu bedenken, dass die Teilnahmerate an der Studie in den Schulen gering war (45 Prozent in den Kontrollschulen und 58 Prozent bei VIP-Schulen). Die Studie lasse keine Rückschlüsse über Teenager zu, die sich dafür entschieden hatten, nicht teilzunehmen. Nach Angaben von "Realityworks" wird dessen Programm mit Babysimulatoren in über 89 Ländern eingesetzt.

Weiterführend:
Artikel in "The Lancet"

(APA/red, Bild APA)


Stellungnahme der babybedenkzeit® GbR:

Australische Studie ist nicht auf Deutschland zu übertragen.

Ein Forscherteam in Australien hat in einer Langzeitstudie untersucht, ob durch das Programm von Realityworks mit Babysimulatoren Teenagerschwangerschaften vermieden werden können. Es kam zu dem Ergebnis, dass deren Zahl nicht gesunken, sondern sogar
gestiegen sei. Die Ergebnisse wurden Ende August 2016 in "The Lancet", einer prominenten britischen medizinischen Fachzeitschrift, veröffentlicht und weltweit über die Medien verbreitet.

Die Berichterstattung hat nicht nur bei Realityworks, sondern auch in Deutschland für Empörung gesorgt, v. a. bei den Anwender_innen, die seit vielen Jahren erfolgreich und mit sehr positivem Feedback mit dem Programm arbeiten. Verunsicherung gibt es bei Schulen und Einrichtungen, die sich für das Programm interessieren. Deshalb sieht sich das Team von babybedenkzeit® GbR zu einer Gegendarstellung veranlasst.

babybedenkzeit® GbR hat das RealCare® Elternprogramm im Jahr 2000 in Deutschland eingeführt und es seitdem in einem permanenten Prozess an die Gegebenheiten in Deutschland angepasst.

Die Zielgruppe sind Jugendliche beiderlei Geschlechts aus allen Bildungsschichten. Das Elternprogramm ist ein praxisnahes Lernangebot mit einer ergebnissoffen Zielsetzung. Abschreckung war und ist in Deutschland und im deutschsprachigen Raum nie Ziel des Programms, da sie keine erfolgversprechende pädagogische Methode ist.

Die für die Zielgruppe gültigen Inhalte sind Reflexion eigener Lebenspläne, Erkennen und Einüben von Elternkompetenzen und Wissensvermittlung zu elterlichen Aufgaben. Jugendliche sollen durch das Programm Schlüsselkompetenzen für die Zukunft und in Bezug auf ihren eigenen Lebensentwurf erlernen. Die ergebnisoffene Zielsetzung bestimmt die Inhalte des Programms.

Die Ergebnisse der australischen Studie, ob richtig oder falsch, können nicht auf Deutschland übertragen werden.

Unsere Begründung:

  1. Das australische Programm setzt auf Abschreckung vor Schwangerschaft im Teenageralter und ist damit schon vom Grundsatz anders konzipiert als das Elternpraktikum, das in Deutschland zum Einsatz kommt − aufklärend und ergebnissoffen.
  2. Die Statistik zeigt eine rückläufige Entwicklung der Schwangerschaften bei Teenagern in Deutschland. Die Zahlen liegen im internationalen Vergleich eher im unteren Mittelfeld. Die Ursachen für die teils großen Unterschiede zwischen einzelnen Nationen liegen zweifellos in den verschiedenen gesellschaftlichen Strukturen und ihrem Umgang mit Bildung und Aufklärung.
  3. Ebenso wie Realityworks in den USA sehen wir die starke Verkürzung des Lehrprogramms auf etwas mehr als zwei Stunden als sehr kritisch an. In Deutschland sind die begleitenden Lehrinhalte des Elternpraktikums um ein Vielfaches umfangreicher und immer an die Zielgruppe angepasst.
  4. Realityworks und babybedenkzeit® GbR wundern sich darüber, dass ein gravierender Einflussfaktor während der Studie nicht berücksichtigt wurde: Im Jahr 2004 führte die australische Regierung eine Baby-Prämie ein, um die Geburtenrate zu erhöhen. Das Programm zahlte Familien nach der Geburt eines Kindes einen Pauschalbetrag, ärmeren Familien bis zu $5000. Es überraschte demnach nicht, dass auch die Zahl der Schwangerschaften der 15- bis 19-Jährigen nach Jahren des Rückgangs
    deutlich anstieg. Vor Einführung des Baby-Bonus sanken die Geburtenraten durchschnittlich um 4,5 % pro Jahr. Nach dem Start des Programms stiegen sie in der genannten Altersgruppe um 7,7 % im Jahr 2005 und 13,5 % im Jahr 2006. Die nicht unerheblichen finanziellen Anreize des Baby-Bonus-Programms und die Auswirkungen auf die Schwangerschaftsraten sind in der Studie nicht erwähnt worden.
  5. In Deutschland wird der Babysimulator nur an pädagogisch ausgebildete Fachkräfte abgegeben. Einführende Seminare für die Kursleiter werden angeboten. Die Schulen, Institutionen und Trägerschaften sind aber auch selbst verantwortlich für die Inhalte und Ziele des Elternzeitprogramms. Der von uns erarbeitete Themenkreis schlägt eine Vielzahl von Lehrinhalten vor, die vor, während und nach dem Elternpraktikum vermittelt werden können. Je nach Zielgruppe, Zielsetzung und Rahmenbedingungen werden diese sehr unterschiedlich genutzt.

Fazit:
Die seit 16 Jahren zahlreichen begeisterten und positiven Rückmeldungen, die wir von Einrichtungen und Schulen erhalten, bestätigen die Arbeit mit diesem Programm. Die Jugendlichen haben nach einem Elternpraktikum, in dem sie die Babysimulatoren mindestens vier Tage und drei Nächte alleine versorgen müssen, weder einen sofortigen Kinderwunsch, noch sind sie auf Dauer davon abgeschreckt. Sie machen nachhaltige Erfahrungen und erarbeiten sich eine Wissensbasis, auf der sie kompetentere Entscheidungen für ihre Zukunft treffen. Die häufigste Aussage der Jugendlichen ist: "Ich möchte gerne Kinder haben, aber
noch nicht jetzt!"

Quelle: Aussendung babybedenkzeit® GbR

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