Alpbach: Gesundheit von Sozialstatus bestimmt

19. August 2013 - 11:03

Gesundheit ist weltweit nicht einfach abhängig von der Technisierung des Gesundheitswesens oder der Höhe des investierten Geldes. Der britische Experte Sir Michael Marmot, Leiter des Instituts für Gleichberechtigung im Gesundheitswesen in London, hielt zur Eröffnung der Alpbacher Gesundheitsgespräche einen flammenden Appell zum Abbau von sozialer Benachteiligung weltweit. Diese sei der wesentlichste Faktor für Ungleichheit in Sachen Gesundheit.

"Faire Gesellschaft, Gesundes Leben", lautete der Titel des Vortrags. Marmot: "Wir haben einen Bericht für das Europa-Büro der (WHO) gemacht. In Simbabwe hat eine Frau eine durchschnittliche Lebenserwartung von 42 Jahren, eine Japanerin hingegen eine von 86 Jahren. Das ist ein Unterschied von 44 Jahren. Wir haben gesagt, man sollte diesen Unterschied binnen einer Generation wegbringen. Sind wir verrückt? Eine Milliarde Menschen leben weltweit in Slums. Mit hundert Milliarden US-Dollar, könnten wir die Lebenssituation in den Slums verbessern. Aber wir haben elf Billionen US-Dollar ausgegeben, um die Banken zu retten. Dabei könnten wir mit einem Bruchteil davon alle Menschen der Welt mit sauberem Wasser versorgen."

"Wir haben die Mittel"

Für den engagierten Epidemiologen ist klar: "Wir haben die Mittel. Wir haben das Wissen. Aber haben wir auch den Willen?" Alle wissenschaftlichen Untersuchungen zeigten ganz klar, dass Gesundheit vom sozialen Status und - so es Unterschiede zwischen Bevölkerungsschichten gibt - von Ausgleichszahlungen/Angeboten abhängig sei. Marmot führte dazu an, dass die Todesraten und die Raten und die Anteile von in gesundheitlicher Beeinträchtigung gelebter Lebensjahre zwischen Ländern wie Spanien oder Schweden und beispielsweise Ungarn um das Fünffache auseinanderklafften. Es käme zwar zu Verbesserungen, doch: "Die von Beginn an besser Gestellten haben einen größeren Zuwachs an Lebenserwartung und gesunder Lebenserwartung. Die Differenz zu den in der schlechtesten sozialen Lage Befindlichen vergrößert sich."

Reicher leben

Der Experte zu umfangreichen Erhebungen in Großbritannien: "Die Reichsten leben im Durchschnitt zwölf Jahre in einem Status der Invalidität, die Ärmsten hingegen 20 Jahre. Und wenn man das Pensionsalter steigern will, in Großbritannien will das die Regierung jetzt auf 68 Jahre, dann muss man einrechnen, dass drei Viertel der Menschen mit 68 bereits invalide sind." Dann gingen sich alle "netten" Berechnungen über eine Entschärfung der Pensionszahlungsproblematik für einen Staat nicht mehr aus.

Diese Beobachtung ziehe sich - so Marmot - durch alle Gesellschaftsschichten: "Die reichsten leben am längsten und sind am gesündesten. Die beinahe so Reichen leben schon nicht mehr so lange und so weiter." Im Zeiten der Finanzkrise werde die Situation nur noch verschärft, Gegenmaßnahmen würden immer dringlicher. Der Experte: "In manchen osteuropäischen Staaten gibt man pro Kopf 37 Dollar für soziale Hilfe aus. Dort stieg mit drei Prozent mehr Beschäftigungslosigkeit die Suizidrate um rund drei Prozent. In den westeuropäischen Staaten gibt man 150 Dollar pro Kopf für Sozialhilfe aus. Dort erhöhte sich die Suizidrate pro drei Prozent mehr Arbeitslosen um weniger als ein Prozent."

Ohne eine faire Gesellschaft seien somit Gesundheit und auch Wohlstand eines Landes nicht zu gewährleisten. Es gehe darum, das soziale Auseinanderfallen der Gesellschaft möglichst zu verhindern und ihre allfälligen Konsequenzen durch Empowerment und Unterstützungsmaßnahmen zu mildern. Marmot: "Wir brauchen eine Welt, in der soziale Gerechtigkeit ernst genommen wird. (...) Unsere Werte sollten unsere Ziele bestimmen."

Es möge schon die "billigste" Lösung sein, sozial Benachteiligten Zigaretten zu schenken - sozusagen mit dem Hintergrund, dass vermehrter Tabakkonsum das Leben verkürze. Der britische Wissenschafter: "Wir tun da natürlich nicht, was billig und kosteneffizient ist." Vielmehr gehe es darum, das Richtige, das Gute zu tun." Und wenn beispielsweise Mängel in der Kinder- und Jugendgesundheit vorliegen, könne sich niemand ausreden: "Beschuldigen wir nicht die Kinder und Jugendlichen. Die konnten sich ihre Eltern nicht aussuchen." (APA/red).

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